0145 - Turm der toten Seelen
Ellis’ Nerven spielten ihm einen Streich nach dem anderen. Er sah, wie sich die Rüstungen bewegten, wie die Schwerter von der Wand genommen wurden, wie sie auf ihn zuschwebten, in unsichtbaren Händen blitzten. Sie schlugen nach ihm und hätten ihn verletzt, wenn er ihren Hieben nicht ausgewichen wäre.
Mit einemmal war ihm klar, was diese schwebenden Schwerter vorhatten.
Sie trieben ihn auf den Ausgang zu. Sie drängten ihn aus dem Leuchtturm in die eiskalte, unwirtliche, unheimliche Nacht hinaus. Hinaus in die gespenstische Dunkelheit, in der die Totenglocke schrill läutete.
Sobald er draußen war, flog die Tür mit einem lauten Knall zu. Er wunderte sich darüber, daß keiner der Freunde von diesem Lärm aufwachte und nur er das Läuten des Glöckchens vernahm. Aber mußte er sich darüber wirklich wundern? Hatte Hannah Salem nicht alle Macht in ihren klauenartigen Händen?
Ein schrilles Kichern ließ ihn urplötzlich herumwirbeln.
Die Aufregung krampfte ihm das Herz zusammen. Das rauschende Meer reflektierte das helle Mondlicht. Auf den silbrigen Fluten schaukelten sieben schwarze Boote. Und auf jedem stand eine häßliche, alte, schwarzgekleidete Frau. Sie hatte Ellis ihr leichenblasses Gesicht zugewandt. Das runzlige Antlitz war zu einem ekelerregenden Grinsen verzerrt. Auf jedem der sieben Boote stand Hannah Salem.
Carl Ellis war nahe daran, den Verstand zu verlieren. Er ängstigte sich zu Tode, denn er sah nicht nur die schwarzen Frauen, die ihn satanisch angrinsten, sondern außerdem sieben Särge in den Booten. Sie standen alle offen. In sechs der Särge erkannte Ellis die Schemen seiner Freunde, im siebten lag er selbst wie eine reale Gestalt.
Als diese geisterhafte Prozession an Ellis vorbeifuhr, verlor er die Nerven. Er warf sich auf den Boden, schlug mit den Fäusten verzweifelt um sich, strampelte mit den Beinen. Eiskalter Angstschweiß brach ihm aus den Poren. Der Wahnsinn griff nach Ellis. Seine Augen wurden trübe, und er begann, leise zu kichern. Hannah Salem stieg von den schwarzen Booten auf. Sie flog zu ihm, hing über dem gequälten Mann und verspottete ihn, drohte ihm erneut, ihn umzubringen, verfluchte ihn bis in alle Ewigkeit.
Die sieben Boote mit den Särgen versanken in den glitzernden Fluten. Hannah Salem stürzte sich auf den Mann, schlug mit ihren knöchernen Händen nach ihm, peinigte ihn mit Fußtritten. Ächzend schlug er um sich, aber seine Fäuste vermochten der Hexe nichts anzuhaben. Jeder Schlag ging durch sie hindurch, als wäre sie aus Luft. Und doch war sie ein fester Körper, sobald sie zurückschlug.
Ein schwerer Schlag riß ihn von den Beinen. Er fiel auf den Rücken, warf sich atemlos herum und kroch auf allen vieren auf die Leuchtturmtür zu. Ellis erreichte benommen die Tür, versuchte, die Schreckensgestalt abzuschütteln, aber sie klammerte sich mit ihren dürren Beinen an ihm fest. Keuchend zog er sich an der Klinke hoch, wollte die Tür aufreißen, aber sie war abgeschlossen.
Da warf ihn die Verzweiflung erneut zu Boden. Und er begann zu schluchzen wie ein kleiner Junge, der sich keinen Rat mehr weiß…
***
Nicole Duval trug ein roséfarbenes Nighty, als sie ins Bett huschte. Der runde Ausschnitt wurde von ihren sanft abfallenden Schultern gehalten.
Plötzlich vernahm sie ein gedämpftes Schluchzen. Auch Zamorra hatte es gehört und richtete sich auf.
»Wer kann das sein?« flüsterte Nicole.
»Keine Ahnung.«
»Wenn es von nebenan kommt, ist es Ellis.«
Zamorra glitt aus dem Bett.
»Bin gleich zurück«, flüsterte er. Er schlüpfte in seinen Kaschmirschlafrock und verließ den Raum. Nebenan lauschte er an der Tür.
Es war tatsächlich Ellis, der schluchzte. Zamorra klopfte. Ellis hörte ihn nicht.
»Carl!« rief Zamorra leise.
Er bekam keine Antwort. Besorgt öffnete er die Tür und trat in den dunklen Raum. Ellis lag in seinem Bett und weinte. Irgendein Alptraum schien ihn zu quälen. Er warf sich immer wieder verzweifelt hin und her, schlug um sich und stieß klagende Schreie aus.
Zamorra trat zu ihm, legte ihm die Hand auf die zuckende Schulter. Ellis’ Pyjama war so naß, daß man ihn auswringen konnte.
»Carl!« sagte Zamorra eindringlich. »Carl!«
Das Gesicht des Schlafenden verzerrte sich, dann riß er die Augen auf, sah Zamorra über sich, erkannte ihn jedoch nicht sofort, stieß einen heiseren Schrei aus und schnellte verstört zur Seite.
»Du brauchst keine Angst zu haben, Carl. Ich bin es: Zamorra.«
Starr hockte Ellis im
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