0145 - Turm der toten Seelen

daß er längst bereut hatte, hierhergekommen zu sein. Nach einer Weile beruhigte er sich. Die kühle Luft aktivierte den Alkohol in seinem Blut noch mehr. Mondy fühlte sich mit einemmal wesentlich betrunkener.
    Ein hellgrauer Schleier legte sich über seine Augen. Sein Blick wurde trüber. Er sah seine Umgebung nur noch verschwommen und spürte, wie ihn eine unsichtbare Faust zwang, in der Hocke zu bleiben, obwohl er sich gern erhoben hätte.
    Anharad Mondy starrte auf das tiefe Wasser.
    Es fiel ihm auf, daß sich das Meer allmählich rot färbte. Die Farbe nahm an Leuchtkraft zu, wurde blutrot, aber Anharad Mondy reagierte in keiner Weise auf dieses Phänomen. Er starrte nur vor sich hin.
    Dämpfe stiegen aus den kochenden Fluten auf. Sie schwebten über dem Wasser, formten sich zu einer großen Kugel, in deren Mitte sich eine steinalte, schwarzgekleidete Frau befand - Hannah Salem. Sie schaute ihn mit einem bösen Funkeln in den Augen an. Ihr Blick schleuderte ihm einen abgrundtiefen Haß entgegen. Mondy bekam Angst.
    Für den Bestattungsunternehmer versank in diesem Augenblick ringsherum die Welt. Er sah nur noch die unheimliche Kugel, die jetzt langsam näher kam.
    Jetzt holt sie mich, dachte der Leichenbestatter voll Furcht.
    Eine ungeheure hypnotische Kraft ging von den flackernden Augen der Alten aus. Mondy war nicht in der Lage, sich ihrem Einfluß zu entziehen. Er schloß die Augen, aber er sah die schwarze Frau trotzdem. Er drehte sich keuchend von ihr ab, doch sie war einfach überall, wohin er sich auch wandte.
    Sie hing in dieser bedrohlichen Kugel und kicherte, daß dem kahlhäuptigen Mann angst und bange wurde. Schweiß tränkte seine Kleider. Seine Beine zitterten. Er atmete schnell, und sein Mund war ausgetrocknet.
    Nun war die Kugel nur noch wenige Zentimeter von ihm entfernt. Mondy wich schlotternd davor zurück. Die Kugeln folgte ihm. Die Schwaden waren ständig in Bewegung. Und doch war Hannah Salem deutlich zu sehen.
    »Geh zurück!« röchelte Mondy. »Zurück ins Meer mit dir, du verdammte Kanaille! Was hast du hier zu suchen?«
    »Ich will dich haben, Anharad Mondy!« kicherte die Frau. Und der Leichenbestatter bekam eine Gänsehaut.
    »Hau ab! Verschwinde, Hannah Salem! Hol dir jemand anderen! Laß mich in Ruhe!«
    »Ich will dich, Anharad, dich und keinen anderen!« kicherte die Hexe.
    Mondy stieß mit dem Rücken gegen die Mauer des Leuchtturms. Er begriff sogleich, daß er nun nicht mehr weiter vor dieser riesigen Kugel zurückweichen konnte, und erstarrte vor Schreck.
    »Komm, Anharad!« krächzte die Alte. »Komm! Du bist der Häßlichste von allen. Du und ich - wir beide sind keine Schönheiten, Anharad! Deshalb möchte ich, daß du mich in deine Arme nimmst. Komm, Anharad! Zeugen wir zusammen das häßlichste Kind, das die Welt je gesehen hat!«
    »Hau ab! Du bist zum Speien! Hau ab, du verdammte Hexe!«
    Die schwarze Frau lachte kreischend auf.
    »Denkst du, ich bin zu alt für dich? Denkst du, ich kann dir kein Kind mehr schenken? Ich kann alles. Es gibt nichts, was Hannah Salem nicht kann, mein Liebling. Komm, Anharad!«
    »Du widerst mich an!« brüllte Anharad Mondy.
    Da glitt die Kugel noch näher an ihn heran. Sobald sie ihn berührte, zerplatzte sie wie eine riesige Seifenblase. Mit einemmal war Mondy klatschnaß. Er fühlte sich in einen mörderischen Strudel gezogen, und als er zu schreien anfing, stürzte ihm ein gewaltiger Wasserschwall in den weit aufgerissenen Mund. Er hustete und spukte. Seine Schreie erstarben in einem grauenvollen Gurgeln. Der Leichenbestatter schlug verzweifelt um sich, fühlte aber, daß Hannah Salem ihr Ziel erreichen würde, einfach deshalb, weil sie wesentlich mehr Kräfte hatte als er.
    ***
    »Er ist der Meinung, keiner mag ihn«, sagte Roy Krupa über den Leichenbestatter. »Vielleicht hat er nicht so ganz unrecht.«
    Plötzlich ließ ein gurgelnder Schrei die Menschen hochfahren.
    Billy Green Hawks und Ireen Tool kamen aus ihrem Zimmer gestürmt. »Habt ihr das gehört?« rief Billy verstört.
    »Mein Gott, wer schreit da so entsetzlich?« fragte Ireen Tool mit zittriger Stimme.
    »Mondy!« stieß Professor Zamorra hervor.
    Sie hasteten alle aus dem Leuchtturm. Auch Gene Sims kam gerade um die Ecke gerannt.
    Was sie sahen, nahm ihnen den Atem.
    Mondy lag auf dem Wasser, im Zentrum eines blutroten Kreises. Das rote Wasser schien zu kochen. Der Leichenbestatter schrie sich die Seele aus dem Leib, während irgend etwas versuchte, ihn in die