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015 - Das Blutmal

015 - Das Blutmal

Titel: 015 - Das Blutmal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jens Lindberg
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gearbeitet hatte.
    Immer rascher blätterten Veits Finger die Seiten um. Da! Veit schloss kurz die Augen, ehe er weiterlas.
     
    Nachdem besagte Anna Göldi das Dienstverhältnis im Hause des Richters und Arztes Tschudi, eines strenggläubigen Reformisten, bereis gekündigt hatte, begann das junge Töchterlein des Hauses tückisch zu werden. Die Obrigkeit ließ nach der flüchtigen Hexe fahnden, die auch alsbald aufgegriffen wurde. Das Kindermädchen Anna Göldi war ein hübsches Ding, dessen Äußeres jedoch recht wohl mit dem Aussehen einer Hexe übereinstimmte. Ihr schmales längliches Gesicht beherrschten bernsteingelbe Augen, ihr glänzendes Haar beschreiben alle als höllenschwarz. Eine Besonderheit, die nicht recht zu ihrer grazilen Gestalt passte, war ihre tiefe Stimme. Weil die Kindes-Verhexerin sich zu dieser Zeit …
     

     
    Veits Arme sackten wie leblos herunter. Das Buch polterte zu Boden. Er kam erst wieder zur Besinnung, als die Glut der brennenden Zigarette seine Daumenkuppe erreichte.
    Die Göldi war das unverwechselbare Spiegelbild Anna Doris, der Hexe, die nur wenige Meter von ihm getrennt schlief.
    War dieses Wesen auferstanden und in einen fremden Leib geschlüpft, um sich zu rächen? Oder sollte ihre Existenz den Hochmut eines Jahrhunderts, das alles Übersinnliche leugnete, dämpfen?
    Veits Ekel vor diesem Wesen verstärkte sich von Minute zu Minute. Nein, er würde nicht die Kraft aufbringen, sachlich zu diskutieren. Es blieb nur die heimliche Flucht. Aber würde sie die Trennung gelassen hinnehmen? Oder würde ihre Rache ihn irgendwo erreichen und töten?
    Er ertappte sich dabei, dass er leise vor sich hinmurmelte: »Ich will nicht sterben.«
    Sein Blick irrte zum Buch. Wie unter hypnotischem Zwang nahm er es wieder hoch. Ziemlich am Ende fand er den Hinweis, dass die Familie der elenden Hexe den Ort der Schande verließ und sich ins Welsche, nach Colmar begab.
    Veits Augen wurden glasig. Nur sehr langsam konnte er wieder klar denken. Und seine Gedanken konzentrierten sich auf ein tödliches Ziel: diese Frau, diese Anna Göldi musste vom Erdboden verschwinden, ehe sie weiteres Unheil anrichtete. Und er – Veit Kloss – musste der Vollstrecker dieses Urteils sein. Er musste zu Gericht sitzen über das Leben Anna Doris’, die er noch vor wenigen Wochen heißer geliebt hatte als sein eigenes Leben.
    Veit saß in vollkommener Erstarrung auf der Couch, als Anna ihre Tür öffnete. Er verbarg das Buch unter der Wolldecke.
    Blass und bedrückt sah Anna ihn an. »Guten Morgen«, sagte sie traurig. Ihre Blicke versuchten ihn liebevoll zu streicheln. »Du hast über uns nachgedacht, wie?«
    »Ja«, antwortete Veit zögernd.
    »Und wann soll die Hinrichtung unserer Gefühle stattfinden?«
    »Sei nicht so dramatisch«, protestierte Veit schwach.
    »Bin ich nicht. Ich sehe nur klar. Es ist die uralte Geschichte, Schatz – ja, immer noch Schatz. Ein Junge liebt ein Mädchen – irrsinnig. Beide glauben, nicht ohne den anderen leben zu können, fressen sich auf vor Liebe. Und plötzlich tritt die Entfremdung als Feind zwischen die beiden. Und sie spüren es. Aber noch immer verbindet sie die süße Erinnerung des einst Gewesenen miteinander.«
    Anna nickte traurig mit dem Kopf und bemerkte dabei das Bücherpaket. Sie bückte sich rasch, und rannte, ehe Veit es verhindern konnte, mit einem Buch aus dem Zimmer und schloss sich in der Toilette ein.
    Veit war unfähig, sich aufzuraffen. Was würde Anna machen, wenn sie wusste, für wen er sie hielt? Würde sie zuschlagen? Rötete sich in dieser Sekunde ihr Hals?
    Langsam bewegte Veit sich rückwärts. Das Telefon klingelte.
    Veit drückte den Hörer ans Ohr und vernahm die aufgeregte Stimme von Menz: »Du, der Idusch scheint toll geworden zu sein. Du sollst ihn sofort anrufen … Nein, nicht bei sich zu Hause. In der Klinik … Ja … Er gab mir die Nummer. Notier sie dir mal.«
    Veit merkte sich die Nummer. Nachdem Menz aufgelegt hatte, wählte er und verlangte Professor Idusch. Als er schweres Atmen hörte, meldete er sich. »Kloss, Professor …«
    »Ja – Kloss.«
    Eine völlig fremde Stimme war das. Sie klang heiser und verzerrt.
    »Die Dori – hat – meine – Frau – verhext.«
    »Tot?« schrie Veit.
    »Schlimmer. Das Kind – unser Kind …« Veit hörte Idusch weinen. »Nach einer völlig schmerzfreien Entbindung stellte sich heraus … Es ist riesig – ein Mädchen – und aus ihrem Mund fiel beim ersten kräftigen Schrei ein großer

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