015 - Das Blutmal
zeitweilig lähmte, sie fast bewusstlos werden ließ und sie in einen Zustand versetzte, aus dem sie stets benommen auftauchte, von unerklärlichen Gewissensbissen gepeinigt.
Sie erinnerte sich noch genau an das erste Mal. Es war im Seminar des Professors gewesen. Veit hatte sie kurz nach dem Erwachen gefunden und dumme Witze gerissen. Dann hatte sie in der Küche ihrer spitznäsigen Vermieterin diese schmerzhafte Lähmung befallen und dann auf dem Fest, als Menz von diesem verdammt scharfen Prüfer erzählt hatte. Sie entsann sich auch an den bisher letzten und schwersten Anfall in der Wohnung von Elonore Idusch. Das letzte Mal hatte der Zustand länger angehalten. Sie wusste nicht einmal, wie sie aus dem Haus gekommen war.
Rührte Veits Misstrauen vielleicht daher? Sagte sie in diesem Zustand der Abwesenheit vielleicht unkontrollierte Dinge? Äußerte sie Sehnsüchte, Forderungen an das Leben? Oder war das Vertrauensband zwischen ihnen schon so brüchig, dass er nicht die Kraft aufbrachte, mit ihr darüber zu sprechen? Ach, es war ein Elend mit den Kerlen!
Sie versuchte zu lächeln, aber es misslang. Vielleicht hatte Veit sie einfach satt und war einer dieser Feiglinge, der billige Vorwände suchte. Und sie hatte so viele Gefühle investiert, ein Semester geopfert, bis zur Erschöpfung gearbeitet, nur um Veit zu helfen, ihm nahe zu sein, ihm zu beweisen, wie sehr sie ihn liebte.
Körperlich und seelisch abgeschlafft quälte sie sich hoch. Sie kroch mehr, als dass sie ging. Mit eiskalten Strahlen versuchte sie ihre verzweifelte Stimmung abzuduschen.
Im Schlafzimmer stieg sie in einen schwarzen Lederanzug und setzte sich ans Telefon. Aus dem Telefonbuch suchte sie die Nummer von Veits Eltern in Hannover heraus. Jede Drehung der Wählscheibe tat ihr weh.
»Hier bei Kloss.«
»Anna Dori. Ich möchte gern Herrn oder Frau Kloss sprechen. Es ist wichtig.«
Die unpersönliche Stimme leierte einen Spruch herunter, der ihr offensichtlich Routine war.
»Das ist leider nicht möglich. Beide sind verreist – für länger. Kann ich etwas bestellen. Ich telefoniere einmal wöchentlich mit ihnen.«
»Nein, danke.«
»Mit wem sprach …«
Anna drückte die Gabel nieder und legte den Hörer auf den Boden. Bloß jetzt keine Anrufe von irgendwelchen Leuten!
Feindlich starrte sie das Buch an. Diese infame aberwitzige Verdächtigung! Sie eine Hexe! Sie – das aufgeklärte, rational denkende Mädchen!
Aus der Küche dröhnte die Stimme eines Rundfunksprechers an ihr Ohr. Müde schlurfte sie über den Flur in die Küche. Sie streckte die Hand schon aus, um das Radio abzustellen, aber die Hand blieb erstarrt in der Luft hängen, als sie den Namen Idusch vernahm.
»… Mitarbeiter gebeten, zu diesem Phänomen Stellung zu nehmen. Wir geben jetzt Professor Dr. Ploog das Wort.«
Anna schwankte, bekam die Kante des Küchentisches zu fassen und schleppte sich unter Aufbietung aller Kraft zu dem Hocker neben der Spüle.
Jedes Wort aus dem Radio erschien ihr wie ein Schlag ins Gesicht.
»… ..sind ähnliche Vorkommnisse nicht bekannt, da sie medizinisch, biologisch und aus gynäkologischer Sicht heraus auch völlig unmöglich sind. Genauso absurd wäre es, wenn wir in einem Klinikbericht lesen würden, es wurde ein Kind geboren, das Strümpfe und Schuhe an den Füßchen trug. Wenn nun allen Ernstes behauptet wird, es hätte in den heutigen Morgenstunden, besser gesagt, in der Nacht, eine Frau ein Kind entbunden, das einen langen eisernen Nagel im Mund hatte, so kann nur angenommen werden, dass in dieser Klinik die Sorgfaltspflicht aufs gröblichste vernachlässigt wurde und einer an der Entbindung Beteiligten diese fabulöse Story erfand, um von einer ans Kriminelle grenzenden Fahrlässigkeit abzulenken.
In einem anderen Licht erscheint die Geschichte allerdings, wenn man das Vorkommnis parapsychologisch zu erklären versucht, wie es der Vater des Kindes, Professor Idusch, in seiner ersten – verständlichen – Verwirrung tat. Der angesehene Jurist sprach den Verdacht aus, seine Frau sei kurz vor der Niederkunft verhext worden. Er nannte in diesem Zusammenhang sogar einen Namen, den einer jungen Studentin, der er gleichzeitig den Tod zweier Personen anlastete. Zu diesem Punkt möchte ich mich nicht äußern, da er jenseits des Diskutablen liegt.
In der Menschheitsgeschichte gab es allerdings Zeiten, in denen solche albernen Phantastereien willig Gehör fanden und geglaubt wurden. So ist aus der Zeit der Hexenprozesse ein
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