0155 - Die Teufelsuhr
gespenstischen Kulisse, dann knarrten die Fensterläden, dann ächzte das Dach, und jedes Mauerstück schien sein eigenes Leben zu haben. Don Mitchell hatte das Haus geerbt, und er wollte davon nicht lassen. Das hatte er Nadine Berger deutlich genug zu verstehen gegeben. Er wollte sogar die Verlobung hier feiern. Nadine konnte sich nicht vorstellen, daß dieses Haus sich jemals mit Leben füllte. Alles war so kalt und düster. Es war ein Haus, um darin begraben zu werden!
Zudem schien sich ein düsteres Geheimnis um das Haus und die Umgebung zu ranken. Nadine Berger wußte nichts Genaues, aber die Menschen im nahen Dorf hatten kaum mit ihr gesprochen und sie nur seltsam angesehen. Sie hatte nachgehakt, aber keine Antworten erhalten. Man schwieg sich halt aus.
Nadine war eine moderne junge Frau. Sie akzeptierte es, wenn andere ihre Hobbys hatten. Das Sammeln alter Gegenslände, zum Beispiel. Aber zwischen diesen alten Möbeln konnte sie nicht leben.
Da fühlte sie sich eingeengt. Und ihr zukünftiger Verlobter hatte das Haus mit allen Dingen vollgestopft. Antiquitäten, für die er nicht einmal hatte zu bezahlen brauchen, weil die Sachen ihm vererbt worden waren, von einem seiner Vorfahren mütterlicherseits, der ebenfalls Antiquitätenhändler gewesen war. Der war öfter in diese Gegend gefahren und hatte hier ›abgeräumt‹, wie man so schön sagt. Momentan befand sich Nadine Berger allein in dem düsteren Haus. Ihr Fast-Verlobter war weggefahren, weil er noch etwas besorgen wollte. Nadine wollte nicht mitfahren. Sie hatte keine Lust, hinaus in den Frühjahrsregen zu laufen, der aus der dichten grauen Wolkendecke fiel und gegen die Scheiben hämmerte. Hier an der Küste war es immer windig. Vom Meer her wühlte sich der Wind heran, schleuderte das Wasser vor sich her und warf es gegen die Felsen. Wales – ein wildes, romantisches Land. Daran mußte Nadine Berger denken, als sie sich abwandte. Sie konnte das an den Scheiben herablaufende Wasser nicht mehr sehen und hoffte, daß Don bald zurückkehren würde. Es war nicht jedermanns Sache, allein in solch einem Haus zu bleiben. In den Keller hatte sich Nadine noch gar nicht hineingetraut. Davor fürchtete sie sich.
Personal war auch nicht da. Es würde erst später eintreffen. Die dunkelhaarige Schauspielerin zündete sich eine Zigarette an und blies den Rauch in den Raum hinein. Er war so groß, genau richtig für die alten Möbel. Inzwischen gab es in diesem Gemäuer auch elektrisches Licht, und die Küche war mit allem Komfort eingerichtet. Nadine würde es an nichts fehlen. Ihr zukünftiger Verlobter war sehr reich. Trotzdem fragte sie sich, ob es nicht eine Wahnsinnsidee war, sich mit ihm zu verloben. Don war ein lieber, netter Mensch, wirklich, aber er hatte eben seine Macken.
Nadine überlegte hin und her. Sie schritt die Seiten des kostbaren Teppichs ab, rauchte, dachte nach und fragte sich, ob sie alles richtig gemacht hatte.
Und bei wem konnte sie sich Rat holen? Freunde hatte sie nicht.
Zwar ungeheuer viele Bekannte, wie das ja in der Filmbranche so üblich ist, aber die Kollegen waren keine Freunde, die dachten nur an ihren eigenen Vorteil. Nadine wußte keinen, mit dem sie über ihre Probleme reden konnte.
Da war ihr John Sinclair eingefallen, und daß er kommen würde, empfand sie als einen großen Lichtblick. Ihm konnte sie sich anvertrauen, und er würde auch Verständnis dafür haben, daß sie sich in dem Haus nicht wohl fühlte. Dieses Gemäuer lebte. Da war nicht nur der Sturm, der um die Mauern toste, sondern es gab noch etwas anderes, das sie beunruhigte. Etwas nicht Faßbares, nicht Greifbares, Unheimliches. Dieses Haus oder die Umgebung mußten ein schreckliches Geheimnis bewahren…
Sie wußte nicht, was es war, aber sie fühlte es. Wie das Netz einer Spinne breitete es sich aus, es überfiel sie regelrecht und umwob sie.
Nadine hatte das Gefühl, in den großen Hallen und Zimmern keine Luft mehr zu bekommen. Diese breite Treppe, die mit Stuck verzierten Decken, das knarrende Holz, die dicken Bohlen, die Fenster – und…
Nadine unterbrach ihre Wanderung und blieb abrupt stehen. Sie befand sich in Nähe der Tür, die offenstand, und sie hörte genau das Geräusch. Kinderlachen… Es kam von unten. Entweder aus der Halle oder aus einem der Räume, die sich darum gruppierten. Aber es waren keine Kinder im Haus, deshalb konnte es nicht sein, daß Kinder sprachen. Oder sollten etwa aus dem nahen Dorf welche eingetroffen sein? Nadine
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