0158 - Der Spiegel-Dämon
liegen, wobei der Zwerg über ihm schwebte und ihn mit einer Säge bearbeiten wollte.
Einmal hatte sich sogar ein Alptraum erfüllt. Mirror-Man war in eine Spiegelwand gefallen und hatte sich dabei das Gesicht zerschnitten. Die Narben sah man heute noch. Dieser Traum hatte sich aber nach einem Streit mit dem Zwerg erfüllt, und seit der Zeit sah Morris seinen Gehilfen im anderen Licht.
»Der steckt mit dem Satan im Bunde«, hatte er oft genug geäußert, aber so, daß es niemand hörte.
Er ahnte nicht, wie recht er haben sollte…
Auch als er jetzt seinen Laden öffnete, dachte er über den verdammten Zwerg nach und darüber, daß er ihm irgendwann mal den Hals umdrehen wollte.
Doch erst einmal mußte er die große Markise vorziehen, damit wenigstens die ersten Zuschauer geschützt waren, falls es regnen sollte. Während er kurbelte, mußte er auch wieder an den Mann denken, der am späten Morgen mit einem Bentley auf den Platz gefahren war. Der Mann war ein paarmal um die Schaubude herumgegangen, hatte sie sich von allen Seiten angesehen und war wieder weggefahren.
Morris hatte, als dieser Blondhaarige ankam, an dem Kiosk gegenüber gestanden und sich zwei Zeitungen gekauft. Wenn der Kerl was von ihm wollte, sollte er wiederkommen.
18 Uhr.
Das war die Zeit, wo er immer anfing. Ein paar Zuschauer hatten sich schon versammelt Kinder, die zuschauten, wie er seine Schaubude öffnete.
Einige wollten helfen, doch Morris scheuchte sie weg. Als die Vorderseite der Bude freilag, zog Morris die Leiter vor der Kasse aus und setzte sich in das Häuschen.
Dort schaltete er die Beleuchtung ein. Es gab ein Pult, von dem er alles steuern konnte. Jetzt flackerten die Birnen auf. Hinter der aus Spiegeln bestehenden Schrift wurde es hell und der Schein fiel bis dicht vor die Bude.
Auch die große Spiegelwand wurde erleuchtet. In unregelmäßigen Abständen zuckten Blitze auf. Mal gelbe, mal rote, auch grüne und blaue. Sie bildeten ein farbiges Kaleidoskop.
Umgezogen hatte sich Mirror-Man ebenfalls. Er trug seinen hellroten Frack, einen ebenso hellroten Zylinder und unter der Jacke ein weißes Hemd, vor dem zahlreiche kleine Spiegel hingen. Bei jeder Bewegung klirrten sie gegeneinander.
In den Spiegeln sahen sich auch die Zuschauer total verzerrt.
Plötzlich dröhnte Musik über den Platz. Morris hatte das Band eingestellt. Er regulierte noch die Lautstärke und griff dann zum Mikro.
Dave Morris war ein überdurchschnittlich großer Mann, aber nicht korpulent oder dick, sondern das Gegenteil. Hager und ein wenig hohlwangig. Sein Gesicht zeigte die schlecht verheilten Narben, und die Augen blickten immer ein wenig melancholisch. Auch hing der graue Oberlippenbart traurig herab. Er zeigte die gleiche Farbe wie Morris' Haar.
Mirror-Man verließ seinen Platz an der Kasse. Sein Gesichtsausdruck änderte sich, jetzt setzte er sein geschäftsmäßiges Lächeln auf, das die Kunden animieren sollte, seine Schaubude zu betreten.
»Hallo, hallo!« rief er. »Hier ist er wieder, der Mann mit den Spiegeln, der Mirror-Man. Nichts bleibt mir verborgen, ich kann in eure Seelen schauen, denn auch sie sind für mich wie ein großer Spiegel. Freunde, gebt acht, Mirror-Man ist gefährlich. Nichts könnt ihr verheimlichen, auf euren Gesichtern spiegeln sich alle Laster wider. Ich bin der, dem nichts verborgen bleibt. Männer, laßt eure Frauen zu Hause. Es könnte sein, daß ich etwas verrate. Und das wäre doch sicherlich sehr unangenehm…«
Er lachte schadenfroh, und einige Zuschauer, die von der Musik und der Rede angelockt waren, lachten mit.
Jetzt kamen auch Erwachsene. Auf die hatte es Morris abgesehen. Nicht so sehr auf die Kinder, die besaßen sowieso kein Geld, er wollte die anderen.
»Und nun, liebe Freunde und Spiegelfans - wer traut sich hinein? Wer macht den Anfang und geht in dieses verwirrende Labyrinth einer anderen, fremden Welt? Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die Schönste im ganzen Land? Das hat schon Schneewittchens böse Stiefmutter gesagt, als sie in den Spiegel schaute. Auch Sie werden in den Spiegel schauen. Was heißt, in den Spiegel, in hunderte von Spiegeln können und werden Sie schauen. Sie sehen sich selbst, und Sie können auf den Grund Ihrer Seele schauen. Bei mir allein werden geheime Wünsche sichtbar. Sie zeichnen sich auf meinen Zauberspiegeln ab. Ja, wirklich, Sie haben sich nicht verhört. Diese Spiegel sind nicht normal. Sie sind verzaubert, von einem Dämon, einem Geist, der euch neue
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