016 - Die Schlangenköpfe des Dr Gorgo
dessen drei Etagenfenster mit Brettern vernagelt waren. Zwei Dachgauben
dagegen waren verglast und ließen den Eindruck zu, daß dort jemand wohnte. Die
Fenster allerdings waren verschmiert und mit einer dicken Staubschicht bedeckt.
»Hier ist es.« Higgins wies auf das Haus, das diesem handtuchschmalen
Block genau gegenüberlag. Ein unauffälliges Backsteingebäude, vier Stockwerke
hoch. Einfache Menschen lebten hier. Die Mieten waren erträglich. Nur wenige
hundert Meter weiter standen alte Häuser, und doch unterschieden sie sich von
diesen Gebäuden ganz beachtlich. Dort wohnten nicht selten namhafte Filmleute,
Regisseure und Schauspieler, Schriftsteller und Maler.
Der Lärm vorbeifahrender Autos konzentrierte sich in dem düsteren
Innenhof. Pfützen standen auf der schlammigen Erde.
Der Chiefinspektor von Scotland Yard stand vor der dunklen Tür, wo
acht Briefkästen und acht verschiedene Namensschilder angebracht waren. Manche
mit Tinte oder Tusche beschriebenen Schilder waren verwischt und derart
verwittert, daß man die Namen nur mit Mühe oder gar nicht mehr entziffern
konnte.
Deutlich und sauber aber war auf einem schmalen Plastikstreifen
der Name Wells zu lesen.
Die Haustür war nicht verschlossen und auch nicht von innen
verriegelt. Higgins drückte die alte Tür auf. Die beiden Männer betraten einen
schmalen, reparaturbedürftig wirkenden Flur. Der Verputz lag locker auf den
blatternarbigen Wänden. Als Flurlampe diente eine nackte Glühbirne, an der ein
langes Spinnennetz hing.
Das ganze Hausinnere machte einen schmutzigen und verkommenen Eindruck.
Schmal und gewunden war die nach oben führende Treppe. Wortlos stiegen der
Scotland-Yard-Beamte und der PSA-Agent die Stufen hinauf. Sie mußten
hintereinandergehen. Dann standen sie in der dritten Etage vor der Tür der Mrs.
Wells.
Higgins drückte auf den Klingelknopf. Larry stellte fest, daß die
Flurfenster in dieser Etage vor Sauberkeit blinkten. Es kam also immer auf den
Bewohner an, was er aus seiner Umgebung machte.
Irgendwo in der Wohnung klappte leise eine Tür. Dann näherten sich
gedämpfte Schritte.
»Ja?« fragte eine Frauenstimme.
»Chiefinspektor Higgins«, sagte der Begleiter Larry Brents.
Ein Schlüssel drehte sich im Schloß. Mrs. Wells stand vor ihnen.
Sie war eine Frau etwa Mitte Vierzig, sah aber älter aus. Das
Leben und die Sorgen hatten ihr sonst ausgesprochen hübsches Gesicht
gezeichnet. Die Lippen, einst sinnlich, waren jetzt schmal. Der verhärmte Zug
in diesem Gesicht zeigte die Enttäuschungen, die Mrs. Wells durchgemacht
hatten.
Auch die Bewegungen und die verhaltene, gepflegte Sprache waren ein
Maßstab dafür, daß Mrs. Wells einst bessere Zeiten erlebt hatte.
»Bitte treten Sie näher, Chief inspektor.« Sie zog die Tür
vollends auf. Higgins stellte seinen Begleiter vor. Larry reichte der Dame des
Hauses die Hand. Ein flüchtiges Lächeln huschte über die schmalen Lippen der
Frau.
»Bitte, kommen Sie herein«, sagte Mrs. Wells. Ihre Augen befanden
sich in ständiger Bewegung, als müsse sie dauernd auf etwas achten.
Sie wirkte nervös und unsicher, obwohl sie sich alle Mühe gab,
dies nicht merken zu lassen.
»Sie hatten mich vorhin angerufen, wegen des Hundes«, begann
Higgins, als wäre es notwendig, Mrs. Wells darauf hinzuweisen und ihr in
Erinnerung zu bringen. Die Frau machte einen abwesenden Eindruck.
Sie nickte eifrig. »Ja,
natürlich.«
»Und - er ist noch immer da?«
fragte Higgins. »Ja.«
Sie passierten den winzigen Korridor. Die Wohnung wirkte ordentlich
und sauber, obgleich sie nur mit dem not wendigsten
eingerichtet war Aber auch in dieser Einfachheit zeigte sich die Vergangenheit
von Mr. Well Auf dem einen oder anderen Regal fand auch irgendeine kleine kostbare
Vase, eine Skulptur oder auch nur ein feingebundenes Buch. An den Wänden hingen
Bilder, die den guten Geschmack der Bewohnerin bewiesen
»Er befindet sich im Zimmer von Bianca«, flüsterte Mrs. Wells.
Ihre großen Augen blickten abwechselnd auf Higgins und Larry Brent
>Seit über einer Stunde ist er schon hier.<
»Bianca?«
fragte Larry, und er sagte diesen Namen
absichtlich, obwohl er genau wußte, von wem gesprochen wurde.
Mrs.
Wells sprach die ganze Zeit über von einem männlichen Wesen »Ja«, sie
nickte. »Bianca…«
Um
in Biancas Zimmer zu kommen, mußten die Besucher das Wohnzimmer durchqueren. Beide Räume lagen zum
Hof. Durch dicht nebeneinanderliegende schmale und hohe Fenster konnte man genau
auf das
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