016 - Frascati mal zwei
Stoppelbärte.
»Vom Nobeltouristen zum Penner in nur drei Tagen«, sagte Haiko Chan kopfschüttelnd, der vom Fenster seiner Suite auf den Hotelvorplatz hinunterblickte.
Don Jaime Lopez de Mendoza Tendilla y Ledesma wandte sich wortlos ab und nahm auf einem der Lederfauteuils Platz, wohl wissend, dass er sich ebenfalls unter der aufgebrachten Menge befände, wenn ihn nicht seine neue Reisebekanntschaft vor diesem Schicksal bewahrt hätte.
Unten im Foyer des mit weitem Abstand teuersten Hotels des Sonnensystems spielten sich ebenfalls tumultartige Szenen ab, allerdings mit dem Unterschied, dass die dortigen Teilnehmer erheblich besser gekleidet waren und auch besser rochen als die Demonstranten. Das Kaffeekränzchen der Reichen und Gelangweilte? hatte eine Sprecherin gewählt, die Matt Schuster, den Hotelmanager, zu sich zitiert hatte.
»Guter Mann«, schnarrte die etwa Neunzigjährige mit dem Eulengesicht, die den untersetzten Manager seit ihrer Ankunft vor drei Tagen an der Menschheit verzweifeln ließ. »Wann gedenken Sie endlich etwas gegen den Mob da draußen zu unternehmen?«
Schuster schluckte und wandte die Augen zum Himmel, ohne sich allerdings aus dieser Richtung tatsächlich Rettung zu erhoffen. »Mein liebe, liebe Mrs. Pendergast, ich habe Ihnen doch bereits erklärt: So sehr ich Ihre verblichenen fünf Ehegatten schätze und durchaus auch beneide – meine Kompetenz endet an den Außenmauern des Luna-Star! Die Mondstation steht unter der Verwaltung der UNO, also ist sie die einzige, die etwas gegen den, äh, Mob unternehmen könnte! Ich kann Sie nur meines aufrichtigen Bedauerns versichern …«
»Und wann wird die UNO endlich eingreifen und mich und meine Reisegefährtinnen vor der geifernden Menge schützen? Wir können ja nicht einmal ein Atomsonnenbad auf der Terrasse nehmen, ohne angepöbelt zu werden!«
»Tja, wissen Sie, wenn ich die Dauer des Dienstweges in Betracht ziehe …«
»Nun?«
»So ungefähr 2068, würde ich sagen! Vorausgesetzt, keines der 67 Ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats legt sein Veto ein!«
»Das ist ja unerhört! Was werden meine Freundinnen von mir denken, wenn ich im Urlaub nicht einmal ein Sonnenbad nehmen kann!« Die Eule holte tief Luft – zum ersten mal seit Gesprächsbeginn. »Apropos Bad – da ist da noch die Sache mit dem Mare Imbrium …«
Der Manager sandte ein stilles Stoßgebet zum Himmel, wohl wissend, dass er in seinem Leben zu viele böse Taten begangen hatte, als dass es erhört würde.
»Wa-wa-was ist mit dem Mare Imbrium?«, stotterte er. »Ist es verschwunden?« Er stöhnte laut auf. »Das würde mich nicht wundern, keineswegs würde es das!«
»Da ist kein einziger Tropfen Wasser drin! Was nutzt mir eine Suite mit Blick auf ein Meer ohne Wasser? Was sollen meine …«
»Tja, wissen Sie, wir hatten in den letzten Jahren eine ziemliche Dürre und da …«
»Aber, aber, meine Herrschaften, bitte beruhigen Sie sich!«, mischte sich plötzlich eine dritte Person in das Gespräch – niemand anderer als Haiko Chan, der sich mit Don Jaime auf dem Weg in eines der sieben Restaurants des Luxushotels befand, um dort das Abendessen einzunehmen. »Ich bin sicher, die Reparaturarbeiten an dem Raumschiff sind bald abgeschlossen und dann erledigen sich alle Probleme von selbst!«
Die Eule starrte den Eindringling indigniert an. Dann zückte sie ein Lorgnon und unterzog ihn damit einer genaueren Musterung, während sie das dabei überflüssige linke Auge zukniff. »Wer oder was sind denn Sie?«
»Mr. Chan arbeitet für Mechanics Inc. und ist Gast des Hauses«, fiel Matt Schuster erklärend ein.
»So!«, schnarrte die Eule und setzte das Lorgnon ab. Dann ergriff sie ihre vierreihige Perlenkette in der Mitte und versetzte deren unteren Teil in kreisende Bewegungen. »Sie haben also nicht genug Geld, um sich den Aufenthalt hier leisten zu können?«
Ein leises Lächeln glitt über Haiko Chans Gesicht, während er eine Verbeugung andeutete. »Im Gegensatz zu den meisten derzeitigen Hotelgästen muss ich, ich gestehe es, für meinen Lebensunterhalt arbeiten. Vielleicht verspüre ich aus diesem Grund so etwas wie Verständnis für die Menschen da draußen, von denen einige zwanzig Jahre und länger für einen einwöchigen Urlaub auf dem Mond gespart haben. Dank Ihnen und Ihren Freundinnen« – er nickte den sie umringenden Damen immer noch lächelnd zu – »aber auch dank Mr. Schuster hier, ist dieser Urlaub in der Tat zu einem unvergesslichen
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