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016 - Herrin der Woelfe

016 - Herrin der Woelfe

Titel: 016 - Herrin der Woelfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hugh Walker
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Werwolf war ein Geschöpf der Legende, des Aberglaubens, der in der nüchternen Welt des aufgeklärten zwanzigsten Jahrhunderts keinen Platz mehr hatte. Gewiss gab es noch Menschen, die an die alten Märchen glaubten, aber ihre Zahl nahm ab.
    Ein absurder Gedanke kam ihr in den Sinn: Wenn niemand mehr an sie glaubte, gab es sie dann noch?
    Was sie über die Merkmale des Werwolfs las, gab ihr neue Gewissheit, dass Werwölfe existierten und dass sie einer war.
    Gewehrkugeln vermochten einen Werwolf nicht zu töten. Jetzt erst erinnerte sie sich wieder, dass der Gefangene auf sie geschossen hatte.
    Sie hatte den Schmerz gespürt, aber wenig später war sie aufgestanden und hatte nichts mehr gemerkt. Und als sie das Gehege geöffnet hatte, waren die anderen Wölfe ebenfalls völlig unverletzt herausgestürmt. Auch der Arzt hatte nichts von einer Schusswunde erwähnt.
    Mit silbernen Kugeln, so berichtete die Legende, konnte man einen Werwolf töten, oder mit einem Dolch aus purem Silber.
    Das meiste hatte sie bereits Woiews Büchern entnommen und wieder vergessen, denn damals war ihr das alles unsinnig erschienen. Jetzt erst gewann alles eine tiefere Bedeutung, da sie nun gezwungen war zu glauben.
    Sie verstand jedoch den Zusammenhang zwischen Woiew und den Wölfen nicht.
    Wenn sie auch Werwölfe gewesen waren – und dass die Kugeln sie nicht verletzt hatten, deutete darauf hin –, warum behielten sie dann ihre Wolfsgestalt die ganze Zeit über und wurden nicht wieder Menschen?
    Und noch etwas fiel ihr auf: Werwölfe, so sagte man, hätten wie alle Dämonen und Geister kein Spiegelbild.
    Sie lief ins Badezimmer und starrte in den Spiegel. Da war es, ihr bleiches, vertrautes und durch die Brandwunden fleckiges Gesicht. Natürlich! Wie konnte es auch anders sein? Sie hatte es beinahe jeden Tag betrachtet und nichts Ungewöhnliches darin entdeckt.
    »Aberglauben«, murmelte sie und schnitt eine Fratze.
    »Es mag Werwölfe geben, aber bestimmt keine Geister und Dämonen. Was die Leute sich so ausdenken!«
    Aber so einfach ließ sich das alles nicht in die Besenkammer schieben. Doch je mehr Abstand sie von den Dingen gewann, desto mehr zweifelte sie. Es erschien ihr alles plötzlich wieder wie ein Traum. Hatte sie das alles wirklich erlebt? Oder hatte Woiew sie verrückt gemacht mit seinen Andeutungen?
    Dann war der Neumond vorbei, und sie wartete auf den Traum. Er kam nicht, und sie wusste, dass sich etwas geändert hatte. Die Furcht wurde wieder stärker. Tag um Tag wartete sie auf den Traum. Sosehr sie sich früher gewünscht hatte, dass er nie wiederkommen würde, sosehr beängstigte sie nun sein Ausbleiben. Und in ihrer Panik suchte sie ihren Psychiater wieder auf.
    »Ich habe den Traum nicht mehr«, erklärte sie.
    »Ich verstehe«, erwiderte Dr. Ferring. »Und Sie möchten von mir wissen, warum.« Er lächelte resigniert.
    »Mein liebes Fräulein Lemar …«
    »Den Grund weiß ich«, unterbrach sie ihn. »Ich bin ein Werwolf. Können Sie mich heilen?«
    Er starrte sie einen Augenblick stumm an.
    »Ich denke doch«, erwiderte er dann. »Ich habe einen Napoleon geheilt, warum nicht auch einen Werwolf?«
    Sie beachtete seinen Sarkasmus nicht.
    »Bitte, Sie müssen mir glauben.«
    Er schüttelte den Kopf. »Glauben? Nein, ich glaube nicht einmal an Gott. Ich sehe nur die Norm – die menschliche Norm
    – und bin blind für alles, das abweicht. Sie sehen mehr als ich.
    Was ich Ihnen einräumen kann, ist die Möglichkeit, mich zu überzeugen. Für mich sind Sie nur ein ganz bezauberndes Mädchen mit dem Namen Thania Lemar. Sie können nichts anderes sein.«
    »Ich bin ein Werwolf«, wiederholte sie unsicher.
    »Beweisen Sie es mir! Treten Sie den Existenzbeweis an! ›Ich denke, also bin ich‹, sagte Descartes.«
    »Ich töte, also bin ich«, erwiderte sie ohne Zögern.
    »Sie töten?« fragte er scharf.
    »In den Nächten des Vollmondes.«
    »Sie träumen, dass Sie töten«, widersprach Dr. Ferring.
    »Ich töte«, wiederholte sie ungeduldig.
    »Warum?«
    »Um den Hunger zu stillen.«
    »Was töten Sie?«
    »Menschen.«
    »Verstehe ich Sie recht. Sie töten Menschen, um Ihren Hunger zu stillen?«
    »Ja.«
    »Dann sind Sie eine Kannibalin?«
    »Nein!« Ihre Züge verzerrten sich vor Ekel.
    »Aber Sie stillen Ihren Hunger mit menschlichem Fleisch?«
    »Nein. Nicht mit dem Fleisch. Mit …«
    Hilflos sah sie ihn an. »Ich weiß es nicht. Der Hunger hat nichts mit dem Verlangen nach Essen zu tun. Es ist – anderer Art.

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