Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

0160 - Der Spiegel des Grauens

Titel: 0160 - Der Spiegel des Grauens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannt
Vom Netzwerk:
auf.
    „Eine glatte Verleumdung!" schrie er.
    Joel hatte ihn an der wunden Stelle getroffen. Harney verlor seine Beherrschung. Er riß die Fäuste in die Höhe und stürzte sich mit aller Wucht seines trainierten Athletenkörpers auf Joel.
    Joel wich zwei rasche Schritte zurück und hielt ihm die Mündung seines Blasters entgegen.
    „Zuerst die Abstimmung, Harney!" verlangte er mit ruhiger Stimme. „Nachher können Sie Ihren Spaß haben."
    Harney blieb stehen. Kraftlos sanken ihm die Arme herab. Dann drehte er sich um und stellte sich wieder an den Platz, an dem er zuvor gestanden hatte.
    „Ich bitte um die Abstimmung", sagte er mit heiserer Stimme.
    Joel sah sich um. Zwei Schritte weit weg stand Barbara, kalkweiß im Gesicht und die Augen fast geschlossen. Harney mußte seine Aufforderung wiederholen, bevor sie zögernd den rechten Arm hob, mechanisch, als würde er an einem unsichtbaren Faden gezogen.
    Für den Antrag stimmten ebenfalls Nino Lamarre und Pitter Laurensen, und natürlich Harney Creeser. Joey Peters und Jaycie Ridell lösten sich ostentativ von der Gruppe und stellten sich abseits, beide Hände in den Taschen ihrer Montur. Übrig blieben nur Eric und Fran Jorgens. Sie verließen zwar ihre Plätze nicht, aber sie hoben auch nicht den Arm. Man hörte sie halblaut in einer Sprache, die niemand kannte, aufeinander einreden. Einer der beiden - Joel konnte nicht entscheiden, ob es Fran oder Eric war - schien die besseren Argumente zu haben. Der andere beschränkte sich schließlich ganz aufs Zuhören und nickte ab und zu. Harney wurde ungeduldig.
    Mit immer noch erhobenem Arm ging er auf die beiden Brüder zu und legte einem von ihnen die linke Hand auf die Schulter. „Eric, lassen Sie Ihren Bruder für sich selbst entscheiden", brummte er unfreundlich. „Was Sie da treiben, ist ungesetzliche Wahlbeeinflussung."
    Joel fragte sich, woher er wußte, daß das Eric war, mit dem er sprach, und daß Eric seinen Bruder in ungünstigem Sinn beeinflussen wollte. Der eine Jorgens fuhr herum und schüttelte zornig Harneys Hand ab. „Erstens", fauchte er Harney an, „bin ich nicht Eric, sondern Fran, und zweitens kann ich mit meinem Bruder reden, solange ich will. Das geht Sie gar nichts an, Sie Großmaul!" Harney zuckte zusammen. Es mußte ihn unerhörte Anstrengung kosten, auch jetzt noch die Würde zu bewahren. Er kam zurück. Eric und Fran Jorgens hatten ihre Diskussion jetzt beendet. Das Lager schien den Atem anzuhalten, als sie sich aus der vornübergebeugten Stellung aufrichteten und sich umsahen. Sie entdeckten Jaycie und Joey, nickten einander ein letztes Mal zu, und gingen zu den beiden hinüber.
    Joel blies die aufgestaute Luft zwischen den Zähnen hindurch. Die Schlacht war entschieden - und gewonnen.
    „Das Ergebnis der Abstimmung ist unentschieden!" verkündete Harney in diesem Augenblick.
    „Vier zu vier. Jede der Parteien kann nun ihre Gründe darlegen, und dann werden wir..."
    „Moment mal, Herr Präsident!" unterbrach ihn Joel. „Wir sind neun Leute, wie kann da eine Abstimmung unentschieden ausgehen?"
    Harney schien wirklich nicht mit diesem Einwand gerechnet zu haben - was Joel sehr verwunderte - denn er sperrte Mund und Augen weit auf und schaute Joel an wie ein Gespenst.
    „Ich hasse es", fuhr Joel weiter fort, „unbescheiden zu sein. Aber im Interesse der Expedition und weil mir die Gruppe dort drüben viel sympathischer ist als diese hier, sehe ich mich gezwungen, gegen meinen Rücktritt zu stimmen. Das entscheidet die Lage, Harney, finden Sie nicht auch?"
     
    *
     
    Harney sprang aus dem Stand. Er tat es mit solcher Kraft und Behendigkeit, daß Joels Konzept verdorben wurde, obwohl er mit einem Angriff gerechnet hatte. Die Welt explodierte vor seinen Augen in einem Regen bunter Funken, als Harneys Faust ihn hoch an der Wange traf. Er wurde zur Seite geschleudert und rutschte über die glatte Molkex-Schicht, bis eines der Zelte ihm Halt bot. Klatschende Schritte kamen hinter ihm her. Das mußte Harney sein. Joel konnte nichts sehen. Er spannte alle Muskeln und warf sich zur Seite. Krachend fuhr neben ihm ein harter Stiefel auf die Stelle, an der er, Joel, eben noch gelegen hatte. Harney war außer Rand und Band. Joel wälzte sich weiter. Von der Stelle, an der Harney ihn getroffen hatte, ging eine Lähmung aus, die den ganzen Körper erfaßte. Er war hilflos. Wenn er in diesem Kampf überhaupt noch eine Rolle spielen wollte, dann mußte er Zeit gewinnen - wenigstens ein paar

Weitere Kostenlose Bücher