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0161 - Zuletzt wimmern sie alle

0161 - Zuletzt wimmern sie alle

Titel: 0161 - Zuletzt wimmern sie alle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zuletzt wimmern sie alle (2 of 2)
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ist auf dem Lande aufgewachsen und kam dann plötzlich in die Großstadt. Zuerst machte sie alles falsch. Ich habe mit Daddy Tränen gelacht, als sie uns das erste Kapitel vorlas.«
    Ich steckte mir eine Zigarette an und fragte ihn, ob er auch rauchen wolle. Er schüttelte den Kopf und sagte: »Ich hab’s früher nicht getan und möchte es jetzt schon gar nicht anfangen, wo die Verletzungen in der Lunge vielleicht noch nicht ganz ausgeheilt sind.«
    »Das ist vernünftig, Ben. Aber vielleicht trinkst du eine Tasse Tee mit mir? Ich könnte auch Kaffee machen -aber so spät am Abend noch Kaffee, ich weiß nicht, ob das für unseren Schlaf gut wäre.«
    »Nein, danke, Mister Cotton. Bitte, machen Sie sich gar keine Mühe meinetwegen. Eigentlich bin ich aus zwei Gründen gekommen. Ich…«
    Er senkte den Kopf und schwieg einen Augenblick. Aufmuntemd sagte ich: »Mir kannst du alles erzählen Ben. Ich verstehe bestimmt viel.«
    »Das weiß ich, Mister Cotton. Als ich damals zu Ihnen ins Office kam und Ihnen die Sache von unserer Bande erzählte und von Ollegan, da hatte ich fest damit gerechnet, daß Sie mir eine dicke Moralpredigt halten würden, wie ich denn Mitglied einer Bande werden könnte. Aber Sie haben mich nicht angebrüllt. Sie haben mich ruhig angehört. Und weil ich jetzt weiß, daß Sie ein vernünftiger Erwachsener sind, Mister Cotton, deshalb wollte ich Ihnen sagen, daß es mir sehr leid tut.«
    »Was?«
    »Daß ich überhaupt jemals in dieser Bande war. Ich sehe auch ein, daß manche unserer Streiche zu toll waren. Ich habe ja im Krankenhaus viel nachdenken können, Mister Cotton. Es ist keine Heldentat, mit sechs oder acht Jungen einen einzelnen zusammenzuschlagen. Oder mit zwölf Mann einen einzelnen Spaziergänger im Park anzurempeln und ihn niederzuschlagen. Das alles sehe ich jetzt ein. Und dafür wollte ich mich entschuldigen.«
    Ich stand auf und gab ihm die Hand: »Das ist schön, Ben. Nicht nur, daß du es einsiehst. Auch daß du dich so weit überwunden hast, daß du deinen dummen Stolz besiegt hast und die Entschuldigung ausgesprochen hast. Weißt du, es sind in meinen Augen keine Männer, die sich nicht auch einmal selbst besiegen und entschuldigen können, wenn sie unrecht gehabt haben.«
    Ben schüttelte mir die Hand. Er war rot geworden vor Verlegenheit. Ich überbrückte seine Verlegenheit, indem ich ihm etwas vom FBI erzählte, von dem ich annahm, daß es einen Jungen interessieren könnte.
    Mitten in meiner Erzählung fiel mir auf einmal sein geistesabwesendes Gesicht auf.
    »Hörst du eigentlich zu, Ben?« fragte ich.
    Er schrak aus seinen Gedanken auf. Mit gesenktem Kopf stammelte er verlegen, daß er selbstverständlich zugehört hätte.
    Ich lachte: »Ach, schwindle nicht! Du warst mit deinen Gedanken woanders, das habe ich doch gemerkt. Na, das ist doch nicht schlimm! Sag mal, mir fällt gerade ein, du nanntest vorhin zwei Gründe, weshalb du mich aufgesucht hättest. Was ist denn eigentlich der zweite? War es das, was dich eben in Gedanken so beschäftigte?«
    »Ja, Mister Cotton«, sagte er. Er machte eine lange Pause, dann beugte er sich plötzlich vor und sagte tonlos: »Ich habe Raila Sheers gesehen.«
    Zuerst glaubte ich, daß ich mich verhört hätte. Aber dem Gesicht des Jungen war deutlich anzusehen, wie sehr ihn sein Erlebnis selbst überrascht hatte. Ich stand auf und holte mir einen Whisky.
    »Jetzt hör mal zu«, sagte ich langsam, »das war doch wohl eben ein dummer Witz, was? Du und ich, wir haben doch beide das. Zimmer geöffnet, in dem Raila Sheers lag. Wir haben beide das Blut gesehen. Wir haben beide gesehen, daß Raila Sheers tot war! Daß sie ermordet wurde! Wir wissen ja auch, daß es Ollegan war, der diesen brutalen Mord ausführte!«
    Ben Warren fuhr sich mit der Zunge über die trockenen Lippen.
    »Stimmt alles, Mister Cotton«, sagte er sehr ernst. »Aber das ändert nichts an der Tatsache, daß ich Raila Sheers vor einer knappen Stunde gesehen habe. Sie ging zwei Schritte vor mir vorbei! Auf eine solche Entfernung ist eine Täuschung völlig ausgeschlossen, Mister Cotton!«
    ***
    »Jetzt muß es gleich kommen«, sagte Ben.
    Wir saßen in meinem Jaguar, und ich fuhr langsam die Fünfte Avenue ab. Das Problem hatte mir doch keine Ruhe gelassen.
    Ben Warren machte nicht den Eindruck eines Phantasten. Aber wenn er das nicht war und nicht an Halluzinationen litt, wie konnte er dann ein Mädchen sehen, das vor Wochen schon ermordet und ein paar Tage später

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