0163 - Der Hexenhenker
von meinem Körper zu trennen. Befreie meinen Geist aus der körperlichen Hülle, damit ich stets an der Seite der gerichteten Mädchen stehen kann. Sie werden mir alle gehorchen, wenn das Urteil vollstreckt ist. Gemeinsam wollen wir in Bloodstone wüten, um Genugtuung zu finden bis zum nächsten Henkersfall.‹
Freiwillig legte sie ihren Kopf auf den Block. Der Henker hob sein Richtbeil, während der Pöbel den Atem anhielt. Aller Augen waren nach oben gerichtet. Sie hatten den Tod der Hexe gewollt, und Ellen Sanders war tatsächlich zu einer Hexe geworden. Magische Kräfte hatten in ihr geschlummert, die niemals zutage getreten wären.
Das Richtbeil sauste nieder.
Mit der Enthauptung war noch nichts beendet. Ein furchtbares Gewitter brach über die Stadt herein. Viele Häuser wurden von den Blitzen in Brand gesteckt. Einer der Blitze schlug in das Haus des Bäckermeisters, genau dort hinein, wo das Zimmer der unglücklichen Ellen war. Das Haus ging in Flammen auf, und der niederprasselnde Regen schaffte es nicht, das Feuer zu löschen, als wäre es magischer Natur.
Während dies geschah und der Pöbel auf dem Marktplatz von Angst und Panik geschüttelt wurde, stieß das Haupt der toten Hexe kreischendes Gelächter aus. Es erhob sich aus dem Auffangkorb, schwebte über den Platz und verschwand über den Dächern.
Die Henkersknechte nahmen den toten Körper und warfen die Enthauptete ins Feuer. Den Kopf fand man niemals. Der Fluch der Hexe wurde wirksam und richtete Schreckliches in Bloodstone an. Der Henker hatte auf einmal magische Kräfte, gegen die er sich selbst nicht wehren konnte. Er handelte unter einem unerklärlichen Zwang. Anschließend verschwand der Henker spurlos - so spurlos wie der Kopf der Hexe.«
Mrs. Coldwater machte abermals eine Atempause. Ihr Atem ging keuchend. Zamorra machte sich Sorgen um ihren Gesundheitszustand. Aber die Wirtin wollte nicht aufgeben. Sie wollte zuerst ihre Geschichte loswerden.
»Jahrhundertelang war der Fluch wirksam. Das Haus des Bäckermeisters wurde neu aufgebaut - fast so, wie es vorher war. Der Bäckermeister beging Selbstmord. Die Schande konnte er nicht verkraften. Aus der Bäckerei wurde eine Herberge. Immer wieder kamen Fremde in die Stadt, und sie waren es, die den Fluch beschworen, denn die Bewohner von Bloodstone lebten in ständiger Angst und hüteten sich vor schlechten Gedanken. Mit der Zeit wurden Fremdè gar nicht mehr in die Stadt gelassen. Dadurch kehrte Ruhe ein in Bloodstone. Bis man nach Jahrzehnten die Gefahr vergaß únd sich wieder nach außen hin öffnete. Es ging so bis vor über hundert Jahren. Eine Ahnin von mir führte die Herberge. Sié soll auch so ähnlich ausgesehen haben wie ich. Ein junger Mann kam und quartierte sich ein. Es war ein seltsamer Bursche, verschlossen und immer ernst. Die Wirtin wurde einfach nicht schlau aus ihm. Sie kümmerte sich jedoch nicht weiter darum, denn sie hatte andere Sorgen. Einige Jahre zuvor war ihre geliebte Tochter mit einem Mann durchgebrannt. Sie kehrte Bloodstone den Rücken, um niemals wiederzukehren, wie sie behauptete.
Drei Wochen war der junge Mann in der Herberge, als sich eines Tages die Tür öffnete und die Tochter der Wirtin eintrat. Die Alte kannte sie auf Anhieb. Sie wollte es dennoch kaum glauben. Alles Vergangene war auf einmal für sie vergessen. Sie bewirtete die Tochter, die gar nicht mehr so lustig und lebensfroh wirkte wie ehemals. All die Jahre hatte die Wirtin das Zimmer ihrer Tochter in Ordnung gehalten und davon geträumt, daß wieder Leben darein ziehen würde. Jetzt war dieser Wunsch in Erfüllung gegangen.
Als die Wirtin fragte, warum ihre Tochter so bedrückt sei, antwortete diese: ›Mit dem ich Bloodstone verließ, erwies sich als Schuft. Er ließ mich im Stich. Aber ich lernte einen anderen kennen. Den glaubte ich innig zu lieben. Ein seltsamer junger Mann. Wir waren sehr glücklich miteinander. Bis er mir eines Tages ein Geheimnis anvertraute: Er sei ein Hexenmeister, der vergeblich gegen seine Fähigkeiten ankämpfe. Er wolle ein normaler Mensch sein, und dazu müßte ich ihm helfen.
Ich sagte ihm ins Gesicht, daß er nur deshalb mit mir zusammen sei, doch er beteuerte immer wieder seine Liebe zu mir. Er widerte mich auf einmal an. Ich wollte mit diesem Mann nichts mehr zu tun haben und brach mit ihm. Obwohl er sich immer wieder abmühte, mich zurückzugewinnen, antwortete ich nur mit Verachtung. Für mich war er ein Wahnsinniger, und mit einem solchen Mann
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