0163 - Um das Leben meines Freundes
letzter machte ich mich auf die Strümpfe.
Ich hatte Glück. Crewitt war noch nicht nach Chicago überführt worden, weil der Staatsanwalt noch prüfte, ob man nicht auch in New York gegen ihn Anklage erheben sollte.
Ich mußte erst ein paar Leute telefonisch kräftig munter machen, bevor ich die Erlaubnis bekam, am Sonntag früh um halb neun das Stadtgefängnis mit einer Sprecherlaubnis für Crewitt zu betreten. Aber dann lief alles reibungslos, und man führte mich in den berühmten Besuchsraum, der durch ein senkrechtes Gitter in zwei Hälften getrennt war.
Auf der anderen Seite führte ein Wärter Crewitt herein. Ich hatte ihn einmal kurz gesehen, als Phil ihn seinerzeit ins Distriktsgebäude gebracht hatte. Damals trug er einen dunkelgrauen Einreiher der Qualität Ia. Außerdem hatte er samtweiche Lederhandschuhe und einen Hut von vierzig Dollar in der Hand. Von der Zigarre ganz abgesehen, die sich nur Gouverneure und höhere Einkommenschichten leisten konnten.
Jetzt trug er die vorgeschriebene Gefängniskleidung, hatte weder Zigarre, noch Hut, noch Handschuhe und sah keineswegs mehr imponierend aus.
»Ihre Kreaturen müßten Sie mal in dieser Aufmachung sehen, Crewitt«, begann ich und wies auf seine grobe Leinentracht.
Er hatte einen vorragenden Unterkiefer, der seinem Gesicht einen erschreckenden Ausdruck von Brutalität verlieh. Aus seinen schwarzen Glutaugen starrte er mich finster an.
»Wer bist du, Bruder?« knurrte er.
Der Wärter nahm mir die Antwort ab:
»Crewitt, wenn Sie nicht höflich mit dem G-man sprechen, werden Sie eine Disziplinarstrafe bekommen!«
Der Polizistenmörder von Chicago trat einen Schritt vom Gitter zurück und besah mich von oben bis unten.
»Sie sind ein G-man?« wiederholte er verdutzt.
»Allerdings, Crewitt. Genauer gesagt: der Kollege des G-man, der Sie in New York aufspürte und verhaftete. Noch genauer gesagt: dessen Freund sogar.«
Ich beobachtete ihn genau. Aber entweder war der Kerl ein Eisberg, der in seinem Gesicht nie eine Regung erscheinen ließ, oder er hatte allerhand schauspielerische Qualitäten. Nicht einmal eine Wimper zuckte, als ich ihm mein Verhältnis zu Phil beschrieb.
»Ach so«, sagte Crewitt nur. »Begreife. Sie wollten sich mal ansehen, was für einen Fisch Ihr Freund geangelt hat, wie? Na, bitte, ich kann mich ja nicht dagegen wehren. Begaffen Sie mich!«
Wie eine Vorführdame drehte er sich vor meinen Augen und knickste anschließend.
»Genug?« sagte er bitter.
Ich nickte, steckte mir eine Zigarette an und blies den ersten Rauch aus, ohne einen Ton zu sagen. Crewitts Blick wurde gierig. Wer weiß, wie lange er schon nicht mehr geraucht hatte.
Noch ein paar Minuten blieb ich schweigsam, aber ich blies wie zufällig den Rauch so, daß er durch das Gitter hinüber zu Crewitts Seite zog. Der Gangsterboß holte in tiefen Zügen Luft.
»Ich könnte Ihnen eine Packung Zigaretten und ein paar Streichhölzer hierlassen, Crewitt.«
Er kam schnell ans Gitter.
»Ja, bitte! — Aber die nehmen mir sie ja doch wieder ab.«
»Ich kann auch erwirken, daß Sie Raucherlaubnis bekommen.«
Er musterte mich mißtrauisch.
»Zum Henker, bloß wegen meiner schönen Nase tun Sie‘s doch bestimmt nicht, G-man! Lassen Sie endlich mal die Katze aus dem Sack!«
Ich zuckte die Achseln.
»Damit müssen Sie anfangen, Crewitt. Ich bin zu Verhandlungen mit Ihnen berechtigt. Aber Sie müssen uns schon den Preis nennen.«
Er sah mich so vollkommen verständnislos an, daß ich sofort wußte, er schauspielerte nicht, sondern verstand wirklich nicht, wovon ich sprach. Ich gab ihm meine Zigaretten und die Streichhölzer und ging.
Er sah mir kopfschüttelnd nach. Ich sagte dem wachhabenden Oberaufseher Bescheid, daß ich Crewitt Zigaretten und Streichhölzer gegeben hätte. Er machte ein bissiges Gesicht und raunte etwas von Zuständigkeitsübertretung. Ich besänftigte ihn mühsam und verließ das Gefängnis.
Wieder ein Fehlschlag
***
Der ganze Sonntag, der Montag und der Dienstag vergingen, ohne daß wir die leiseste Spur von Phil gefunden hätten. Die Kollegen hatten rotgeränderte Augen wie ich, denn wir nahmen uns nur noch ein paar Stunden pro Nacht Zeit zum Schlafen. Wir erwogen tausend Möglichkeiten und verwarfen hundert davon. Den anderen gingen wir nach, bis wir an den Punkt kamen, wo sich zeigte, daß sie mit Phils Verschwinden nichts zu tun hatten.
Niedergeschlagen hockte ich am Dienstag abend gegen acht Uhr vor Phils Schreibtisch. Was konnte, was
Weitere Kostenlose Bücher