0169 - Flucht vor dem Teufel
verwandelt, als ich einen Schluck zu mir nehmen wollte.«
Er hatte noch etwas hinzufügen wollen, aber in diesem Augenblick begann sich die Karaffe, in der noch weitaus der größte Teil des zu Säure gewordenen Weines schwamm, zu bewegen. Sie schwankte, stieg dann mit einem Ruck in die Höhe und näherte sich mit atemberaubender Geschwindigkeit dem Meister des Übersinnlichen.
Zamorra keuchte erschrocken, sprang aus dem Stand zur Seite. Dort, wo er sich noch einen Sekundenbruchteil zuvor befunden hatte, rieselte jetzt Säure zu Boden. Ein kleiner Spritzer hatte ihn an der Jeans getroffen, und sofort entstand dort ein Loch. Heißer Schmerz pulste durch sein Bein, aber er hatte jetzt keine Zeit, sich darum zu kümmern. Er hoffte nur, daß die Säure nicht so hochkonzentriert war, daß der Spritzer sich durch sein ganzes Bein fressen konnte.
»Achtung!« rief Jean und hechtete ebenfalls zur Seite.
Zamorra wirbelte herum, sah, wie die Karaffe ihren Flug abbremste, den Kurs änderte und erneut auf ihn zujagte.
Wieder wich der Meister des Übersinnlichen aus, und wieder ergoß sich Säure dorthin, wo er noch kurz zuvor gestanden hatte. Die Dämpfe wurden jetzt immer dichter, und selbst der frische Hauch, der von draußen hereindrang, konnte daran kaum etwas ändern.
Zamorra sah, wie Nicole jetzt ebenfalls eine sichere Entfernung zwischen sich und die Säure in der Karaffe brachte, dabei aber versehentlich in eine kleine Säurepfütze trat, die noch von dem ersten Angriff auf ihn stammte.
»Nici, deine Füße, paß auf!«
Sie sah es im gleichen Augenblick. Ihr rechter Schuh qualmte, als hätte er Feuer gefangen. Sie preßte die Lippen aufeinander, zerrte an dem Schuh, um ihn von ihrem Fuß zu lösen.
»Er sitzt fest«, brach sie hervor. »So fest, als wäre er ein Teil von mir selbst geworden.«
»Ich helfe Ihnen!« rief Jean Somac von der anderen Seite und stürmte um den Tisch herum.
Der Meister des Übersinnlichen hatte für einen Augenblick nur die Karaffe aus den Augen verloren. Als Raffael in seinem Rücken entsetzt aufschrie, wußte er, daß er damit einen verhängnisvollen Fehler gemacht hatte. Er warf sich zur Seite, sah, wie nur Zentimeter an seinem Kopf ein Schwall Säure vorbeizischte, auf den Boden tropfte, Blasen warf…
Zamorra rollte sich herum und stieß mit dem Hinterkopf gegen die Kante einer Truhe. Schmerz zuckte durch sein Denken, Schmerz, der seine Muskeln lähmte, Nebel vor seine Augen legte, Schwaden, die er nicht mehr mit seinen Blicken durchdringen konnte.
Die Gefahr! pochte es in ihm. Ich muß wieder auf die Beine, darf nicht zulange an einem Ort bleiben. Sonst erwischt es mich. Krampfhaft versuchte er, die Kontrolle über seinen Körper zurückzugewinnen, doch das vergrößerte seinen Schmerz nur. Er hörte einen gellenden Schrei Nicoles, rasche Schritte an seiner Seite, starke Arme, die seinen Körper berührten, an ihm zerrten, ihn bewegten. Dicht neben sich hörte er das Splittern von Glas, das Knistern von Säure, die den Zersetzungsprozeß begann. Ihm schwindelte. Nur langsam fand er wieder zu sich selbst. Etwas Kaltes berührte seine Lippen, rann seine Kehle hinab.
Säure! gellte es in ihm.
Doch es war nur kühles Wasser, das seine Lebensgeister weckte. Die Nebel vor seinen Augen lichteten sich.
»Ist es…?«
Nicole nickte. »Vorbei, ja. Wir haben auch diese Attacke überstanden.«
Mühsam kam der Meister des Übersinnlichen wieder auf die Beine.
»Ich hab’ es befürchtet«, sagte er düster. »Die schwarzmagische Barriere, ihre Ausstrahlung, vermindert die Wirkungsweise der Dämonenbanner viel zu rasch. Ihr Schutz ist nicht mehr hundertprozentig. Das, was wir eben noch erlebt haben, war nur der Schatten eines dämonischen Einflusses. Bald wird es schlimmer werden. Und wenn uns dann nicht etwas einfällt…«
Er ließ das Ende des Satzes offen, aber Nicole wußte auch so, was er meinte. Sie schluckte.
»O Gott!« brachte Jean Somac in diesem Augenblick hervor. Er starrte hinaus, und Zamorra und Nicole waren mit einigen schnellen Schritten an seiner Seite.
Zamorra atmete schwer, als er sah, was den Fünfundzwanzigjährigen so außer Fassung gebracht hatte. Die Landschaft, über die sie noch vor wenigen Minuten geblickt hatten, war verschwunden. Dort war jetzt nur ein formloses Grau, ein Hauch von Ewigkeit und Zeitlosigkeit, was vielleicht sogar beides zutraf. Und in diesem Grau, dicht vor der Wirkungszone der Dämonenbanner, wirbelten groteske und grauenerregende
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