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017 - Blick in die Vergangenheit

017 - Blick in die Vergangenheit

Titel: 017 - Blick in die Vergangenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Zybell
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durch den Raketenbeschuss nicht zerbrach und ein Trümmerstück in den Atlantik einschlug. In diesem Fall war mit einer gewaltigen Flutwelle zu rechnen.
    Er weinte nicht, während er zwei Stunden lang durch das wie ausgestorben wirkende London fuhr. Mit dem Kopf begriff er, was geschehen würde. Sein Gefühl konnte es nicht fassen. Die meiste Zeit, während er den Rover durch die fast menschenleeren Straßen fuhr, kam er sich vor, als würde er eine Rolle in einem Film spielen. In einem Film, der mit seinem wirklichen Leben nichts zu tun hatte.
    Erst als er sein Haus in der Artillery Row betrat, holte ihn die Realität aus seinem tranceähnlichen Zustand. Das Haus war leer, seine Familie weg!
    Unfähig, einen klaren Gedanken zufassen, stürmte Jagger von Zimmer zu Zimmer. Er rief die Namen seiner Kinder, den Namen seiner Frau. Nirgends eine schriftliche Nachricht.
    Die wenigen Freunde und Bekannten, die sich noch in London aufhielten, waren schnell durchtelefoniert. Es waren nur noch vier Familien. Und nur unter zwei Nummern meldete sich jemand. Niemand wusste, wo Ruth und die Kinder waren.
    Jagger tigerte völlig aufgelöst durch die Wohnung. Es war doch verabredet, dass ich euch abhole, es war doch verabredet…Er ahnte, dass sich ein Unglück zusammenbraute. Doch was konnte man angesichts eines mit fünfzig Kilometern pro Sekunde auf die Erde zurasenden Kometen noch wirklich als Unglück bezeichnen? Der Gedanke tröstete ihn nicht.
    Die Sekte, dieser verdammte Reverend…Ruth war in letzter Zeit fast zweimal wöchentlich zu den Gottesdiensten der Gruppe gegangen. Wie hieß er gleich? Miller, Hugh Miller genau…
    Er schlug das Telefonbuch auf. Seitenweise Millers. Zwei Dutzend davon hießen »Hugh«. Er wählte die Nummern durch; nur unter vieren erreichte er jemanden. Aber keinen Reverend Hugh Miller. Es war gegen halb zwölf, als er es aufgab.
    Zitternd vor Erschöpfung und Verzweiflung stand er in der Küche und starrte zum Fenster hinaus auf die Straße. Der Himmel war strahlend blau. Kein Mensch auf dem Bürgersteig. Eine halbvolle Weinflasche stand auf der Anrichte. Rotwein. Er entkorkte die Flasche und setzte sie an die Lippen. Der Alkohol machte ihn ruhiger.
    Er nahm die Flasche mit ins Kinderzimmer seines ältesten Sohnes. Eine halbe Stunde hockte er auf Johns Bett und stierte grübelnd vor sich hin. Dann piepste das Handy in seiner Manteltasche los. Er ließ die Flasche fallen und riss es heraus. »Ja?!«
    »Dad, schnell - du musst kommen…« Johns Stimme, leise und hastig. »Die Leute vom Reverend haben uns abgeholt…Ich hab' Angst, dass was Schlimmes passiert…Ich hab' mich heimlich ans Telefon geschlichen…«
    Jagger sprang auf. »Wo seid ihr?«
    »In Chelsea, in der Royal Hospital Road, gegenüber vom Krankenhaus…« Der Junge beschrieb ihm das Gebäude.
    »Ich komme!« Jagger rannte aus der Wohnung. Mit hoher Geschwindigkeit fegte er durch die fast leeren Straßen. Chelsea lag am anderen Ende der Stadt. Um zehn Minuten nach zwölf erreichte er das Royal Hospital.
    Auffällig viele Fahrzeuge parkten vor dem Haus, das John ihm beschrieben hatte. Die Haustür stand offen. Jagger betrat das Treppenhaus und lauschte. Von weit oben wehten Stimmen herab. Stimmen, die sangen. Er nahm drei Stufen auf einmal. Im fünften Stock hörte er es deutlich sie sangen ein Kirchenlied: »Näher, mein Gott, zu dir…« Er drückte den Klingelknopf. Schritte hinter der Tür. Sie wurde aufgezogen. Ein Frauengesicht - alt, aufgequollen, rotverweinte Augen. »Ja?«
    »Ich will dem Herrn entgegen gehen«, sagte Jagger. Kommentarlos ließ die Frau ihn vorbei. Er betrat einen weiten, langen Flur. Lauter Gesang drang aus einer doppelflügligen Tür.
    Durch sie ging er in einen kleinen Saal. In enggestellten Stuhlreihen hockten zahllose Menschen. An die zweihundert Männer, Frauen und Kinder. Mittendrin Ruth, John, Percy und Linda.
    Drei Männer bewegten sich durch die vordersten Reihen. Jeder trug zwei große silberne Kelche und reichte sie nach links und rechts. Alles sah nach einer Abendmahlsfeier aus. Aber es war keine.
    In der ersten Reihe sah Matt ein kleines Kind, das seitlich gegen seine Mutter fiel. Die Mutter hob ihren Arm so langsam, als wäre er aus Blei. Noch bevor sie ihn um ihr Kind gelegt hatte, kippte sie nach vorn weg und stürzte auf den Boden. Auch die Menschen neben ihr sackten plötzlich zusammen und fielen von den Stühlen. Einer nach dem anderen. Innerhalb kürzester Zeit saß in der ersten Reihe

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