Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
017 - Blick in die Vergangenheit

017 - Blick in die Vergangenheit

Titel: 017 - Blick in die Vergangenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Zybell
Vom Netzwerk:
Kollektoren installiert, die Magneten erneuert, Widerstände ausgewechselt und die Rotationsachse der Spule verlängert.
    Sie ragte an der Bildschirmseite aus dem Monitorgehäuse, und war mit einem Zahnrad versehen, das über eine Umsetzung mit einer Handkurbel verbunden war.
    Die Mechanik hatte ihm ein befreundeter Ingenieur aus Soho geliefert. Sie sorgte für die kinetischen Energie, die man dem zum Generator umfunktionierten Elektromotor zuführte.
    Das primitive System produzierte genug Strom, um Computer, Multiplex-Medienplayer, einen kleinen Monitor und Diktat-Modul mit Energie zu versorgen. So lange jedenfalls, wie jemand die Kurbel betätigte. Ein Akku war nicht zweckmäßig, weil dessen Speicherkapazität mit den Jahren verloren gegangen wäre.
    Jagger wünschte sich, er hätte einen dieser neuartigen Trilithium-Kristalle in die Finger bekommen. Aber das war illusorisch; die wenigen bislang synthetisch hergestellten Energiekristalle hatte natürlich die Regierung für die Stromversorgung ihrer Bunker vereinnahmt.
    Dem Ingenieur und dem Elektriker hatte Jagger je fünfzehn Flaschen Bordeaux aus seinem Weinkeller überlassen. Symbolisch für alle Flaschen, die sie in den letzten Jahren gemeinsam zu leeren versäumt hatten. Die restlichen vierzig lagerten jetzt nebenan in den Regalen des Gewölbekellers.
    Die Vitrine hatte Jagger aus der Münzgalerie gestohlen. Genau wie eine zweite, kleinere, in der er später den MMP aufbewahren wollte. Wer würde morgen noch Münzen aus der römischen Kaiserzeit oder aus der Blütezeit des British Empire betrachten wollen…?
    Er sah sich noch einmal in seinem im- provisierten Arbeitsraum um. Die Zeitschriftenund CD-Stapel neben dem Computer waren deutlich kleiner geworden. Nicht dass Jagger fertig war mit der Arbeit. Aber seine Schufterei hatte sich doch gelohnt: Eine Datenflut von fast vierundachtzig Terabyte hatte er in den MMP eingefüttert.
    Zwei digitale Camcorder lagen auf der Schreibtischplatte. Daneben ein Schuhkarton voller Batterien. Jagger fröstelte, als er die Camcorder betrachtete. Sie standen für den Teil der Arbeit, der noch auf ihn zukommen würde. Er wollte selbstverständlich Filmaufnahmen machen. In den Wochen und Monaten nach dem Einschlag. »Wenn wir dann noch leben«, murmelte er.
    Ein Blick auf die Uhr: kurz vor halb sieben.
    Zeit, nach Hause zu gehen und die Familie abzuholen. Zeit für ein letztes gemeinsames Frühstück in den vertrauten vier Wänden. Zeit, einen letzten Spaziergang zur Tower Bridge zu unternehmen und ein vorläufig letztes Mal auf die Themse herab zu blicken.
    Er schaltete die Musikanlage aus. Dann löschte er das Licht und trat in das geräumige Kellergewölbe. Fünf Feldbetten waren dort neben Tischen und Stühlen aufgebaut. Alte Schränke und meterweise Regale standen an der Wand. Für zwei Jahre Proviant hatten er und seine kleinen Söhne herbeigeschafft. In einem Nebenraum hatte er eine Destillationsanlage installiert, mit der man aus Urin Trinkwasser gewinnen konnte. Für alle Fälle.
    Er legte den Lichtschalter um; es wurde dunkel im Kellergewölbe. »Ich komme bald wieder«, murmelte er. »Um zwanzig vor fünf soll er aufschlagen…« Er sprach viel mit sich selbst in den letzten Wochen. Vielleicht ein Zeichen seiner grenzenlosen Erschöpfung. Und wenn er mit sich selbst von dem großen Auslö- scher namens »Christopher-Floyd« sprach, nannte er ihn immer nur er.
    Fünf Minuten später fuhr er in seinem gebrauchten Rover 60 auf der Monmouth Street Richtung Süden. Er nahm nicht den gewohnten Weg über die Clerkenwell Road und die Old Street. Noch ein Stück an der Themse entlang fahren, noch ein paar Brücken überqueren, noch einmal den Buckingham Palace, die Westminster Hall und St. Paul's Cathedral sehen.
    London wirkte wie ausgestorben. Nicht einmal hunderttausend Menschen wohnten noch in der Stadt. Die meisten von ihnen waren Underdogs aus tristen Arbeiter- oder Schwarzenvierteln. Millionen hatten sich über die Luftbrücken der NATO in die USA, nach Kanada oder Australien abgesetzt, Millionen den Flüchtlingstrecks angeschlossen, die seit dem Spätherbst in die Gebirgszüge Mit- telenglands und Wales' und ins schottische Hochland strömten oder per Schiff nach Skandinavien in die norwegischen und schwedischen Berge. Den Berechnungen der NATO zufolge würde »Christopher-Floyd« in der russischen Steppe einschlagen. Aber niemand wollte garantieren, dass »Christopher-Floyd« beim Eintritt in die Erdatmosphäre oder

Weitere Kostenlose Bücher