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017 - Blick in die Vergangenheit

017 - Blick in die Vergangenheit

Titel: 017 - Blick in die Vergangenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Zybell
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niemand mehr auf seinem Platz. Und nun begannen in der zweiten Reihe die ersten Menschen zusam- menzubrechen…
    »Dem Herrn entgegengehen« - Richard Jagger hatte es für eine religiöse Floskel gehalten, jetzt sah er, wie buchstäblich sie zu verstehen war. Er sah es, aber es dauerte Sekunden, bis sein Hirn bereit war, die Wahrheit zu akzeptieren.
    Mehr und mehr Menschen fielen tot von den Stühlen. Trotzdem schien der Gesang eher noch lauter zu werden. Die Kelchträger arbeiteten sich bereits durch die vierte bis sechste Reihe. Jaggers Familie saß in der achten. Er unterdrückte den Impuls zu brüllen. Seine Knie zitterten. Er schob sein Entsetzen zur Seite und drängte sich entschlossen in die achte Stuhlreihe. John sah ihn zuerst. Dann Ruth. Sie machte ein erschrockenes Gesicht.
    »Ihr kommt mit«, zischte Jagger. Sie schüttelte den Kopf und schlang die Arme um Linda, die auf ihrem Schoß saß.
    Jagger fasste Percys Hand. John stand auf und schob sich an seiner Mutter vorbei.
    »Komm, Mum - bitte…«
    Die Sänger wurden auf sie aufmerksam. Jagger packte Ruth am Ärmel ihres Mantels.
    »Ich bitte dich, Ruth, komm jetzt.« Sie schüttelte energisch den Kopf. Er wollte sie vom Stuhl ziehen. Sie wehrte sich.
    Die Kelchträger beobachteten sie. Der Gesang riss nicht ab. »Näher, mein Gott, zu dir…«
    »Lassen Sie die Frau in Ruhe«, zischte jemand.
    »Komm endlich!«, platzte es aus Jagger heraus. Er brüllte.
    Männer erhoben sich von ihren Stühlen, stellten sich in drohender Pose vor ihm auf, drängten ihn und die Jungs aus der Stuhlreihe.
    »Sie ist meine Frau!«, schrie Jagger. Der Gesang kam ins Stocken
    »Sie kann frei entscheiden, was sie tut.« Der Kerl vor ihm packte Jagger am Mantelkragen und stieß ihn gegen die Wand.
    »Aber das Kind nicht!«, schrie Jagger.
    »Meine Tochter! Lasst mich zu meiner Tochter!« Er sah, wie einer der Kelchträger einen Kelch über zwei Stuhlreihen reichte und Ruth ihn entgegennahm. »Nein!«, brüllte Jagger. »Tu das nicht, Ruth! Ich hab' alles vorbereitet! Ich hab'…« .
    Aus den Augenwinkeln nahm er Miller wahr. Mit gezogener Pistole kam er von der Seite.
    »Verschwinden Sie, Jagger!«
    Ruth trank aus dem Kelch und gab Linda zu trinken. »Nein!« Ein Schuss fiel. Percy und John klammerten sich an ihn. Eine Menschentraube bildete sich um Jagger und seine Söhne. Sie drängten ihn zur Tür ab. Hände griffen nach Percy. Jagger schrie und schlug um sich. Sechs, sieben Männer stemmten sich gegen ihn und schoben ihn ins Treppenhaus.
    Die Tür fiel ins Schloss. Jagger starrte sie an, als hätte sich eben die Pforte des Himmels vor ihm geschossen. Die vernichtende Wirklichkeit prallte mit solcher Plötzlichkeit in sein Hirn, dass ihm das Wasser aus den Augen stürzte. Er zitterte am ganzen Körper. Percy heulte krä- hend, John stammelte immer nur: »Mum, Linda, Mum, Linda…« Ein Albtraum.
    Ein Albtraum, der zu Ende geträumt werden musste. An jeder Hand einen Jungen, stolperte er die Treppe hinunter. Der Komet schien schon längst eingeschlagen zu haben - in seinem Hirn. So zertrümmert fühlte er sich.
    Er raste durch London. Die Jungs hinter ihm auf der Rückbank schrien nach ihrer Mutter.
    Als sie auf der Sloane Street waren, schoss ein Armeelaster aus der Pont Street. Jagger riss das Steuer herum- der Rover kam ins Schleudern, drehte sich einmal um sich selbst und prallte mit der Fahrerseite gegen die Hauswand. Das Kindergeheule verstummte. Jagger stieg aus und holte John und Percy aus dem Font und drückte sie an sich. Sie standen unter Schock, John blutete aus einer Platzwunde an der Schläfe.
    Der Wagen sprang nicht mehr an. Sie mussten zu Fuß zum Britischen Museum laufen.
    Es war kurz nach halb zwei Uhr Mittags. Betrunkene Horden von Jugendlichen zogen durch die Straßen, plündernd und grölend. Sie stürzten Autos um und warfen Fensterscheiben ein. Ihre Art, mit der Verzweiflung umzugehen.
    Jagger versuchte solchen Rotten auszuweichen. Um halb vier erst erreichten sie den Soho Square. In einer Stunde geht die Welt unter, dachte Jagger. Es waren noch etwa zwölf Fußminuten zum Museum. Percy konnte nicht mehr, Jagger musste ihn tragen.
    An der West Central Station brannten Feuer. Auch hier betrunkene Jugendliche. Eine Frau schrie. Matt sah, wie vier Männer sie in die Untergrundstation hinab zerrten. Struppige Burschen in Lederkluft und Jeanswesten.
    John blieb plötzlich stehen. »Ich will zu Mum.« Jagger wusste nicht gleich, was er sagen sollte. Motoren

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