017 - Der Engel des Schreckens
läßt sich nun nicht ändern, und niemand weiß, daß ich überhaupt im Garten war. Daß ich mit dem Ergreifen eines entflohenen Sträflings etwas zu tun hatte, kommt ja sowieso nicht in die Zeitungen.«
»Aber über den Selbstmord wird geschrieben werden«, sagte Jean. »Nein, ich kann auch nicht annehmen, daß die Polizei den Namen des Mannes erwähnen wird, der ihr mitteilte, daß James Meredith in Dulwich Grange sein werde.«
Mr. Briggerland lehnte sich in den Stuhl zurück und sah finster drein.
»Man kann doch auch nicht an alles denken«, brummte er. Dann stand er auf, ging zur Tür, verschloß sie und nahm aus einem Fach seines Schreibtisches eine kleine Pistole. Er überzeugte sich sorgfältig, daß sie keine Patrone enthielt, stellte sich vor den Spiegel und versuchte, die Mündung mit der rechten Hand auf die linke Schläfe zu setzen. Als er fand, daß dies unmöglich war, brummte er ärgerlich vor sich hin. Dann legte er den Daumen auf den Abzug, während der Kolben sich gegen die Handfläche stützte. Hier hatte er mehr Erfolg.
»So geht's«, sagte er zufrieden. »Es kann auf diese Weise ausgeführt worden sein.«
Jean schauderte nicht vor dem Schauspiel zurück, das ihr Vater darbot. Den Kopf in die Hand gestützt, beobachtete sie jede seiner Bewegungen mit regstem Interesse. Wie sie ihm zusah und zuhörte, hätte er ihr ebensogut einen neuen Rückschlag beim Tennis erklären können.
Mr. Briggerland setzte sich wieder an den Tisch und strich sich bedächtig ein Brötchen.
»Alle Welt geht dies Jahr nach Cannes«, begann er, »aber ich denke, wir bleiben bei Monte Carlo. Wir können dort auch ganz ruhig leben, namentlich, wenn wir eine Villa in den Bergen, nicht zu dicht bei der Bahnlinie, finden können. Ich habe Mordon schon gestern gesagt, daß er mit dem neuen Wagen vorausfahren und uns in Boulogne erwarten soll. Mordon ist von dem Wagen ganz begeistert. Eine nette telefonische Verbindung mit dem Fahrer, elektrische Heizung und -«
»Meredith war verheiratet!«
Wenn sie eine Bombe auf ihn geworfen hätte, würde das kaum einen so ungeheuren Eindruck gemacht haben wie diese drei Worte. Er starrte sie an und stieß sich vom Tisch zurück.
»Verheiratet?« Seine Stimme überschlug sich. Sie nickte.
»Das ist eine Lüge«, brüllte er, »eine verdammte Lüge.« All seine süßliche Zuvorkommenheit war verschwunden, sein Gesicht verzerrte sich vor Wut und färbte sich noch dunkler. »Verheiratet - du verlogene kleine Bestie! Er konnte nicht verheiratet sein! Es war ja kaum acht Uhr vorbei, und der Geistliche wurde um neun erwartet. Ich drehe dir den Hals um, wenn du versuchst, mir einen Schreck einzujagen. Ich hab' dir das schon mal gesagt.. .«
Er tobte und brüllte wie ein Besessener. Jean hörte schweigend und unbewegt zu.
»Er wurde Punkt acht von einem Geistlichen getraut, den sie aus Oxford hatten kommen lassen und der die Nacht im Hause zugebracht hat«, unterbrach sie ihn mit größter Ruhe. »Es hat gar keinen Wert, dich in eine solche Aufregung hineinzusteigern. Ich habe den Pfarrer gesehen und auch die junge Frau gesprochen.«
Jetzt wandelte sich der Rasende in einen jammernden, erbärmlichen Greis. Seine Augen standen voller Tränen, sein Kinn zitterte, und die fleischigen Hände auf dem weißen Tischtuch flogen wie im Fieber.
»Was sollen wir denn nun machen?« jammerte er. »Mein Gott, Jean, was soll aus uns werden?«
Sie stand auf, ging zu dem Büffet an der Wand, goß ein Weinglas halb voll Whisky und brachte es ihm - alles, ohne ein Wort zu sagen. Sie war an diese Anfälle gewöhnt und auch an ihren Abschluß. Jean war weder gekränkt noch überrascht oder abgestoßen. Dieses blasse, zarte Wesen war stärker als er. Sie glich einem großen Chirurgen, dem Mitleid, wenigstens im Operationszimmer, fremd ist.
»Du wirst deine Reise nach Monte Carlo aufgeben müssen«, sagte sie, als er begierig den Whisky schlürfte.
»Wir haben jetzt alles verloren«, stammelte er. »Alles!«
»Das junge Mädchen, oder vielmehr die junge Frau, hat nicht einen Verwandten«, sagte Jean bedeutungsvoll. »Ihre nächsten Erben sind - wir!«
Er setzte das Glas nieder, blickte sie scharf an und war sofort wieder der freundliche, zuvorkommende ältere Herr.
»Kleine«, rief er begeistert, »du bist wirklich ein Wunder. Es tut mir leid, daß ich mich so kindisch betragen habe. Was schlägst du also vor?«
»Schließ erst mal die Tür auf. Ich möchte das Mädchen rufen.«
Während er zur Tür
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