017 - Orungu - Fratze aus dem Dschungel
durchnässt, und
die Pflanzen bildeten eine einzige, zusammenhängende Masse, die bereits in
Fäulnis überging.
Jaques begann zu graben. Der Regen
durchnässte seine Kleidung, lief ihm in Bächen über das Gesicht. Er störte sich
nicht daran. Er war nur noch eine willenlose Maschine, ein Roboter, der sich
sein eigenes Grab schaufelte.
Der Hagere und das mystische Wesen
Orungu standen unter einer Weide und beobachteten das Tun des Franzosen. Ein
satanisches Lächeln spiegelte sich auf dem pergamentenen Gesicht des Heimkehrers.
»Er hat es gleich geschafft«,
murmelte der Hagere im Selbstgespräch vor sich hin, und es wurde ihm nicht
einmal bewusst, dass er sprach.
Jaques schaffte es. Schon wurde
der dunkelbraune, von den Würmern noch verschonte Eichensargdeckel sichtbar.
Regen wusch die letzten Erdkrumen davon weg. Wie in Trance blickte der Franzose
in die Tiefe, wo der Regen neben dem Sarg rasch eine Lache bildete.
Der Fahrer wandte den Blick und
starrte hinüber zu der Gestalt in dem bunten Gewand. Orungu war auch vom Regen durchnässt.
Der dünne, seidene Stoff klebte an ihrem schlanken, wohlgeformten Körper, und
auch die Farbe in ihrem Gesicht hatte der Nässe nicht widerstanden. Sie war
verwischt und verwaschen, und das Farbengemisch floss über die hohe Stirn und
tropfte auf den Boden herab. Dunkle Hautstellen wurden frei, die sich kaum von
der Finsternis um und hinter Orungu abhoben.
Das kurze Haar klebte auf dem
Schädel der Dschungelhexe, die der Hagere aus Neuguinea, einer selbst heute
noch kaum erforschten Insel, mitgebracht hatte. In dem fernen Land, woher
Orungu gekommen war, lebten Stämme noch heute auf der Stufe der Steinzeit. Und
Dämonenglaube, Totenkult und Geisterbeschwörungen gehörten zu diesen der Natur
verbundenen Menschen.
Von all diesen Dingen wusste
Jaques nichts. Er fühlte nur die Macht, die hypnotische Kraft, die von dem
schlanken weiblichen Wesen ausging. Und das Seltsame daran: er fühlte sich
gezwungen, ständig auf die Stirn von Orungu zu sehen - er brachte es nicht
fertig, ihr in die Augen zu blicken. Es war, als ab ihn hinter der hohen,
glatten, schwarzen Stirn irgend etwas magisch beeinflusste.
Und dann zerbrach von einem Augenblick
zum anderen die machtvolle hypnotische Barriere. Der Franzose fühlte sich
wieder frei und sah mit Erschrecken, dass er das Grab geöffnet hatte, dass in
einer Tiefe von zwei Metern der dunkelbraune Sargdeckel wie die Fläche eines
polierten, nassen Tisches lag.
Jaques schluckte.
»Auch Sie werden spurlos
verschwinden, Jaques«, sagte der Hagere und näherte sich dem Grab. Wie ein
Schatten folgte Orungu. Jaques sah erst jetzt, als sie ganz dicht vor ihm
stand, das weiche, ruhige Gesicht. Und erst jetzt auch wagte er, einen Blick in
die dunklen und unergründlichen Augen zu werfen. Und wieder erschauerte er.
Diese Augen hatten schon viel gesehen. Das Mädchen war höchstens zwanzig Jahre
alt - in ihren Augen aber spiegelten sich ganze Menschenalter!
»Sie werden sterben«, sagte der
Hagere, »und keiner wird jemals herausfinden, warum. Und wenn Sie jemals einer
finden sollte - was ich für ausgeschlossen halte - wird man nicht einmal wissen,
woran Sie gestorben sind .«
Orungu trat jetzt vor. Der
Franzose wollte zitternd zurückweichen. Aber das Murmeln ihrer Stimme hielt ihn
wie gebannt auf der Stelle. Die Nacht war .ein einziger Alptraum. Eine Flut von
Gefühlen überschwemmte sein Bewusstsein.
Er hörte das Murmeln, aber er
begriff es nicht, und dann überfiel ihn mit einem mal eine Kälte, die ihm
anzeigte, dass irgendetwas mit seinem Körper geschah.
Seine Augen reagierten nicht mehr
richtig. Er hatte das Gefühl, durch eine Röhre zu blicken, deren Seitenwände
immer dichter an ihn heranrückten und sein Blickfeld schließlich bis auf einen
winzigen Punkt einengten.
Sein Atem ging röchelnd.
Krankhafte Schwäche schlich wie ein unbekanntes Gift in seine Glieder, sein
Puls raste!
Das kann nicht sein, grellte es
durch sein Gehirn. Du irrst, dieses Weib macht dir irgendetwas vor - sie
spiegelt dir eine Halluzination vor!
Der Geruch des Grabes stieg in
seine Nase, die Kälte in seinen Gliedern verstärkte sich. Jegliches Gefühl kam
ihm abhanden.
Er wollte etwas sagen, doch nicht
einmal mehr seine Lippen öffneten sich. Er erstarrte bei lebendigem Leib,
glaubte jedenfalls, dass es so war.
»Sie ist eine Totenbesprecherin«,
hörte er aus einer unwirklichen Ferne, die diese Schwärze begleitete.
»Vielleicht haben Sie von diesen
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