0170 - Entführt in die Schattenwelt
… ich liebe dich. Sie breitete ihm ihr Innerstes aus, und er empfand eine Verbundenheit mit ihr, die alles überstieg, was er bislang je kennengelernt hatte.
Wie könnte ich das lieben, was du jetzt bist, fuhr sie fort.
Plötzlich drangen die Gedankenimpulse von Eileen O’Shea an sein verändertes Wesen. Zamorra! rief sie. Ich habe einen Fluchtweg gefunden!
Flucht! Wer war er, daß er jetzt floh? Ein für allemal konnte er die Gefahr der Dämonen beseitigen, wenn er nur seine Macht - die des Amuletts - einmal einsetzte.
Entsetzt erkannte er den Preis dafür. Es konnte geschehen, ja, er konnte es verwirklichen, aber nur um seiner Menschlichkeit willen.
Zamorra! drängte Nicole erneut.
Er faßte seinen Entschluß.
***
Asmodis erzitterte. Der Dämon erkannte, was geschehen war, war aber machtlos, Gegenmaßnahmen zu ergreifen.
Jetzt, im Nachhinein, konnte er sich nicht den geringsten Vorwurf machen. Er hatte Zamorra in der Falle gehabt, nur einen Sekundenbruchteil gezögert. Dadurch war dem verfluchten Widersacher möglich geworden, die Einheit mit seinem Amulett einzugehen.
Doch, er hatte einen Fehler begangen. Nicht Zamorra hatte er unterschätzt, sondern seine Silberscheibe, das Erbe des Leonardo de Montagne…
Zu bereuen gab es nichts mehr, dafür war es zu spät. Asmodis setzte zur Flucht an.
Er wußte nicht, ob sie ihm gelingen würde. Wenn ja, dann - so nahm er sich vor - mußte er sich in Zukunft noch viel stärker um den Wissenden unter den Menschen kümmern und um sein Amulett, das, einmal Professor Zamorra entrissen, ihm selbst vielleicht von Nutzen sein könnte…
***
Nici! rief Zamorra, und: Eileen!
Die Ereignisse überschlugen sich. Im gleichen Moment, wo Zamorra beschloß, seine Menschlichkeit trotz aller Lockungen nicht zu opfern und die innige Verschmelzung mit dem Amulett aufgab, erfaßten ihn wilde, tiefe Emotionsstürme. Da war die Erleichterung und Liebe und Dankbarkeit von Nicole, das Aufatmen von Penderton und Larringer und McCrofty und Karmann, und das Drängen von Eileen O’Shea.
Schnell! dachte das Medium. Du hast die Kraft, Zamorra. Du kannst die Grenze des Nichts durchstoßen und die anderen mitnehmen, was mir völlig unmöglich wäre. Ich könnte nur allein fliehen, und das will ich nicht!
Zeige mir den Weg, Eileen! bat Zamorra. Aber da sah er ihn schon selber, eine dünne Nabelschnur in der unendlichen Finsternis, eine Verbindung, die bei Eileen O’Shea begann und bei Eldridge Castle - dem richtigen Schloß in der Wirklichkeit, nicht im Schattenreich -endete.
Professor Zamorra konzentrierte sich, wurde wieder eins mit den sechs Menschen, die er in seinem Geist vereinte. Er spürte das Amulett wieder in seiner richtigen, natürlichen Größe. Die entartete Sonne, die er selbst gewesen war, blieb verschwunden. Auch von Asmodis entdeckte er keine Spur mehr.
Das Nichts schrumpfte, und der Parapsychologe prallte gegen die Grenze, die Kluft zwischen Zwischenreich und Erde.
Der Schmerz war überwältigend. Zamorra fühlte, wie die Atome seines Körpers von innen nach außen gekehrt wurden, sich umwandelten, ihre natürliche Position wieder einnahmen. Das Amulett pulsierte brennend auf, leuchtete meilenweit, stieß einen Blitzstrahl aus, der noch in Glasgow zu sehen sein mochte.
Es war vorbei. Sechs Gestalten lagen auf dem Schloßhof von Eldridge Castle, vier davon - Eileen O’Shea, Gerald Karmann, Frank Larringer und Ian McCrofty - so nackt, wie Gott sie schuf, er selbst und Nicole in der Kleidung, in der es sie auch in das Zwischenreich verschlagen hatte.
Und noch jemand befand sich auf dem Schloßhof - Doktor Wellington, der Wissenschaftler, dessen Geist Eileen O’Shea als Verankerung gedient hatte. Wellington riß die Augen auf, starrte entsetzt auf die Menschen die vor ihm mitten aus der Luft erschienen waren, schnappte nach Luft. »Eileen!« rief er und rannte zu dem Mädchen, das - wie alle anderen außer Zamorra und Nicole - bewußtlos auf dem schlammigen, nassen Erdboden lag.
»Keine Angst«, sagte Zamorra lächelnd. »Ihr ist nichts geschehen. Es ist nur der Schock. Die Transmission kam zu plötzlich für sie.«
Wellington blickte zu ihm auf. »Was… wer… wo… wieso…« stammelte der Wissenschaftler.
Zamorra legte beruhigend eine Hand auf seine Schulter. »Doktor Wellington, vermute ich?« sagte er. »Mein Name ist Zamorra… es freut mich, daß wir uns endlich einmal persönlich kennenlernen. Ein wirklich ganz erstaunliches Medium haben Sie da
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