0176 - Der Haß der Verdammten
Kugeln hatte ihn an der Wade verletzt.
Niemand sagte etwas.
Ich machte ein paar Züge und zertrat die Zigarette auf der Steinstufe. Dann kniete ich mich neben den erschöpften Wilkerton. »Wo ist Harry?«, fragte ich.
Er hob den Kopf. In diesem Augenblick sah er aus wie sein Vater. »Ich weiß es nicht, Mister. Ich schwöre es.«
»Sie wollten sich an Ihren Vater rächen!«
Der Mann ließ den Kopf hängen. »Wahnsinn! Alles Wahnsinn! Ich habe von der Sache heute zum ersten Mal etwas gehört. Als Vater davon sprach.«
»Weshalb sind Sie dann geflohen?«
»Weil ich mich nicht einsperren lasen wollte.«
»Einsperren?«
Er stand langsam auf und sagte müde: »Wegen der gefälschten Schecks. Ich dachte, als Vater mit Ihnen kam, dass es deshalb wäre.«
»Und deswegen schießen Sie auf einen G-man?«
Er warf den Kopf zu mir herum. »Ich habe einen Schreckschuss gegen die Wand abgegeben.«
»Sie haben meinen Kollegen getroffen.«
Er riss die Augen entsetzt auf. »Was?«
»Kommen Sie!«
Ich bedankte mich bei Sergeant Rickson für die Hilfe und brachte Wilkerton in die Fordham Avenue zurück.
Als der Mann seinen Vater noch vorfand, rief er ihm zu: »Hast du es gehört? Sie verdächtigen mich! Ich soll deine Frau erschossen haben! Ich soll Harry entführt haben!«
Der alte Mann blickte ihn kalt an. Er sagte nichts.
Phil hatte die Personalien des Mädchens aufgenommen. »Wir können sie nach Hause schicken«, meinte er.
Ich nickte. Dann fuhren wir mit den beiden Wilkertons zum Büro.
In weniger als einer Stunde zerplatzte alles wie eine Seifenblase. Jim Wilkerton besaß für die Mordnacht ein einwandfreies Alibi. Er hatte in dieser Nacht mit drei. Freunden gepokert.
Der alte Mann stand neben ihm. »Und wegen deines schlechten Gewissens schießt du auf einen FBI-Agenten! Hör zu, Jim, ich habe nichts mehr mit dir zu tun. Die beiden Schecks bezahle ich noch. Das ist das Letzte, was ich für dich tue. Dann ist es aus. Von heute an musst du selber sehen, wie du durchs Leben kommst. Ich weiß, dass es keinen Zweck hat, dir noch mal zu erzählen, wie schwer ich mich selber habe hocharbeiten müssen.«
Der Untersuchungsrichter würde sich weiter mit dem jungen Wilkerton beschäftigen müssen.
Als er abgeführt worden war, ging der alte Mann mit schweren, müden Schritten grußlos hinaus.
***
Weder der Kinofreund Lad noch der Erpresser meldeten sich. Auch am St. James Park hatte sich in der Samstagnacht niemand sehen lassen.
Am Sonntagvormittag fuhr ich hinaus nach Riverdale.
Als ich meinen Wagen vor dem Parktor anhielt, kam Johnny Craz und öffnete mir.
»Guten Tag, Sir. Mister Wilkerton ist nicht im Haus. Er ist vor einer Stunde ausgegangen.«
»Wohin?«
»Er sagte, er ginge über die Hudson Bridge in den Inwood Park spazieren.«
»Ist Mrs. Wilkerton da?«
»Ja.«
Er rief Linda. Das Mädchen führte mich in den Salon, und nach einigen Minuten kam Mary Wilkerton herein.
Sie blieb mitten im Raum stehen. Das schwarze Kleid stand ihr gut. Ihre dunklen Augen blickten mich forschend an. Sie sah bleich und übernächtigt aus.
»Guten Tag«, sagte ich.
»Bringen Sie mir eine gute Nachricht?«, fragte sie sofort.
»Leider nicht. Ich bin nur gekommen, um einen Augenblick mit Ihnen über die Briefe zu sprechen.«
Ich sah, dass sie sich unwillig abwenden wollte. »Mrs. Wilkerton, Sie sind der einzige Mensch, der uns vielleicht weiterhelfen könnte. Haben Sie eine Ahnung, wer die Briefe geschrieben haben könnte?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein. Glauben Sie, ich hätte sonst den Mund gehalten?«
»Sie haben die Briefe für sich behalten und mit niemanden darüber gesprochen. Obgleich Ihnen in einem der Briefe auch mit der Entführung Ihres Kindes gedroht wurde.«
Sie blickte mich schweigend an.
»Mrs. Wilkerton, weshalb haben Sie mit niemanden darüber gesprochen?«
»Mit wem hätte ich das wohl tun sollen?«
Ich wagte einen Vorstoß. »Mit Lad vielleicht?«
Sie blickte mich unverwandt und ruhig an. »Mit Lad?« Ein kleines Lächeln lag um ihren Mund. »Das glauben Sie doch wohl selbst nicht. Lad Torring ist ein verspielter Junge. Ein Playboy. Kein Mensch, dem man so etwas anvertrauen kann.«
»Weshalb haben Sie nicht mit Ihren Schwiegereltern darüber gesprochen?«
»Mein Schwiegervater ist ein sehr stiller, einsilbiger Mann. Ich hatte nie einen besonders guten Kontakt zu ihm. Nein. Ich hätte nicht darüber mit ihm sprechen können. Er lebt für sich. Er denkt an die Jagd, an seine Wälder oben
Weitere Kostenlose Bücher