0176 - Der Pestvogel
ich ließ es nicht los, sondern riß den gefiederten Mörder zu mir herab.
Flügelschlagend senkte er sich auf mich nieder.
Ich stach zu.
Mein geweihter Silberdolch fuhr ihm entgegen. Die Klinge hätte sich in seinen Leib bohren sollen, doch er vollführte im entscheidenden Moment eine groteske Drehung, riß sich von mir los, peitschte die Luft mit seinen Schwingen, und mein Dolch senkte sich lediglich in seinen rechten Flügel.
Ein krächzender Schrei.
Der Totenvogel gab auf.
Er schwirrte ins Schlafzimmer und auf das geschlossene Fenster zu. Ohne das Glas kaputtzuschlagen, tauchte er durch das Fenster. Mit unsicherem Flügelschlag torkelte er durch die Lüfte. Verletzt zwar, aber nicht erledigt, suchte er das Weite, und ich konnte es nicht verhindern.
***
Der Schock brachte Adele Mock beinahe um. Die Begegnung mit dem Totenvogel machte sie so fertig, daß sie das Bewußtsein verlor. Jetzt mußte sie ins Krankenhaus, und sie hatte keine Möglichkeit, sich dagegen zu wehren.
Vladek Rodensky führte die Nachbarin herein. Er stützte die zitternde Frau. Sie weinte still.
»Sie brauchen keine Angst mehr zu haben«, sagte ich. »Es ist ausgestanden.«
»Wo ist Katt?« fragte Vladek.
»Er zog es vor, das Feld zu räumen. Aber ich habe ihm mein Monogramm in den Flügel gestochen.«
»Er wollte mich umbringen«, sagte Marie Moric erschüttert. »Er wollte auch Frau Mock töten. Wird er wiederkommen?«
»Das glaube ich kaum«, sagte ich. »Er hat jetzt andere Sorgen. Er ist verletzt.«
»Angenommen, er erholt sich bald wieder«, sagte Vladek Rodensky besorgt. »Dann setzt er sein grausames Treiben munter fort.«
»Wir werden ihn daran hindern.«
»Wie denn? Wir haben keine Ahnung, wohin er von hier aus geflogen ist.«
»Ich hoffe, daß Inspektor Fuchs uns sagen kann, wo Katt wohnt. Sobald wir das wissen, versetzen wir ihm den Todesstoß. Und jetzt ruf die Rettung an, damit Adele Mock ins Krankenhaus kommt.«
Vladek eilte ins Wohnzimmer. Ich hörte ihn telefonieren. Nachdenklich blickte ich auf die Klinge meines Dolches. Es hatte nicht viel gefehlt, und ich wäre mit Zacharias Katt fertiggeworden.
Verflixt, warum hatte er dieses kleine Quentchen Glück haben müssen, das ihn vor dem Untergang bewahrte?
***
Heftige Schmerzen peinigten den Totenvogel bei jedem Flügelschlag. Die Dämmerung hatte eingesetzt, und Zacharias Katt flog über das Pratergebiet. Mit weit ausgespannten Schwingen versuchte er so viel wie möglich zu segeln. Er lag über weite Strecken auf dem Wind und schonte seinen Flügel nach Möglichkeit.
Eine rasende Wut tobte in ihm. Er hatte John Sinclair unterschätzt, hätte es nicht für möglich gehalten, daß dieser Geisterjäger so stark war. Weder die Pesttoten, noch er selbst hatten Sinclair geschafft, und das ärgerte Katt maßlos. Hölle und Teufel, irgendwie mußte diesem Mann doch beizukommen sein.
Katt bewegte wieder die Flügel. Die Schmerzen waren kaum zu ertragen. Das geweihte Silber hatte peinigende Kräfte in der Wunde zurückgelassen, mit denen Zacharias Katt kaum fertig wurde.
Der Schmerz machte ihn blind.
Er flog über die Donau, ohne es zu sehen, am mächtigen Komplex der UNO-City vorbei. Sein Flug war unruhig. Es fiel ihm schwer, sich in der Luft zu halten. Er taumelte und wackelte. Sein Gleichgewichtssinn funktionierte nicht mehr richtig. Ihm wurde schwindelig, und er merkte, daß er rasch absackte. Es war beinahe schon ein Fallen, das er nicht verhindern konnte.
Verdammt, er brauchte ein Versteck.
Einen Platz, wo er sich erholen konnte. Ungestört mußte er sein.
Dann wollte er die Hölle anrufen, sie um neue Kräfte bitten, die den Schmerz aus seinem Flügel trieben und die Wunde rasch heilen ließen.
Die Hölle würde ihm die Kräfte nicht verwehren, denn er würde sie in ihrem Sinn gegen John Sinclair einsetzen.
Katt wurde kurz schwarz vor den Augen, und ein gequältes Krächzen drang aus seinem Schnabel. Er trudelte und krachte Augenblicke später in die Krone eines Baumes.
Blätter klatschten gegen seinen gefiederten Körper. Zweige peitschten ihn und Äste bremsten seinen Fall. Er überschlug sich mehrmals und fiel schließlich neben dem Baumstamm auf weiches Gras.
Ohne daß er es wollte, setzte die Verwandlung ein. Er nahm menschliche Gestalt an. Fingerdick glänzte der Schweiß auf seinem schmerzverzerrtem Gesicht.
Stöhnend erhob er sich. Sein rechter Arm hing schlaff herab. Er preßte ihn an den Körper und blickte sich um. Er wußte, wo er
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