018 - Der Schatz der toten Seelen
Messerklinge erneut an, und diesmal gelang ihm sein Vorhaben. Die Tür schwang langsam auf.
Und Charlie schoß eine bleiche Hand entgegen, die seine Kehle packen wollte!
***
Wie ein großer schlanker Fisch schwamm Roy Cassidy am Piratenschiff entlang. Er suchte nach einer anderen Möglichkeit, in das Wrack zu gelangen, schwenkte dann aber fast ruckartig ab, als er auf dem Meeresgrund zwischen Felsen eine Truhe stehen sah. Sie bestand aus massivem Holz und hatte dicke, rostige Beschläge aus gehämmertem Eisen.
Roy hatte das Gefühl, sein Herz würde hoch oben im Hals schlagen. Alle Leute, mit denen er über den Schatz der toten Seelen gesprochen hatte, hatten ihn entweder mitleidig belächelt oder ihm abgeraten, danach zu suchen, denn ihrer Meinung nach existierte das Gold des Kapitäns Nimu Brass nicht, wie es auch ihn – das war ihre Überzeugung – nie gegeben hatte.
Und nun diese Kiste.
Roy Cassidy glaubte zu wissen, daß sich Gold und Juwelen in ihr befanden. Er war felsenfest davon überzeugt, daß er auf einen Teil des Piratenschatzes gestoßen war.
Jahrhundertelang war das Gold hier vergraben gewesen, und Roy wußte nicht, ob es ihnen gelungen wäre, es zu finden, wenn ihnen dieser schwarze Strudel nicht zu Hilfe gekommen wäre. Sie hatten sich zwar vorgenommen, gründlicher als ihre Vorgänger zu suchen, doch das wäre noch keine Garantie für einen Erfolg gewesen.
Der Junge schwamm aufgeregt auf die Truhe zu, dieses Geschenk aus der Vergangenheit.
Das Blut vieler unglücklicher, unschuldiger Menschen klebte an Nimu Brass’ Gold, und Roy wollte den Schatz der toten Seelen auch nicht für sich. Er und seine Freunde hatten beschlossen, das Gold – wenn sie welches finden wollten – beim Bürgermeister abzuliefern.
Bestimmt fiel dann die Prämie für sie ab, die sie getrost annehmen konnten, da sie sie sich ja redlich verdient hatten.
Das Gold der Piraten würde wahrscheinlich ins Dorfmuseum gebracht werden, und Roy träumte insgeheim davon, daß sein Name und die Namen seiner Freunde dann auf einer Inschrift zu finden sein würden.
Jeder Taucher trug unter seinem Neoprenanzug einen Kunststoffsack. Für den Fall, daß sie auf den Schatz stießen.
Roy freute sich besonders darüber, daß er der erste war, der fündig geworden war.
Er erreichte die alte Truhe. Ein kleiner grauer Krebs kroch über den Deckel. Roy fegte ihn mit einer raschen Handbewegung fort, als müsse er vor diesem Tier den wertvollen Schatz verteidigen.
Auch er besaß ein Tauchermesser. Dieses zog er nun aus der Gummischeide und setzte es an den rechten Eisenbeschlag. Mit zunehmender Kraft drückte er den Messergriff nach vorn – und die rostige Spange schnappte auf.
Roy hätte am liebsten einen Freudenschrei ausgestoßen. Er schob die Klinge unter die zweite Metallspange. Sie saß nicht ganz so fest. Als sie ebenfalls offen war, erschauerte Roy Cassidy wie im Fieber. Er steckte das Messer in die Scheide. Vorsichtig, beinahe ehrfürchtig tastete er den gewölbten Deckel ab.
Er zögerte einen Augenblick lang, ihn zu öffnen, aber dann drückte er ihn hoch, und sein starrer Blick fiel auf leuchtendes Gold, Münzen, Juwelen und Geschmeide. Eine strahlende, schimmernde, funkelnde Pracht war das.
Roy war überwältigt.
Er holte den Kunststoffsack hervor und fing an, das Gold mit der Hand hineinzuschaufeln.
Er sah nicht, was sich hinter ihm ereignete, sonst hätte er in heller Panik die Flucht ergriffen, denn hinter ihm war Kapitän Nimu Brass aufgetaucht.
Und der Geisterpirat war nicht allein…
***
Die Hand packte zu. Ihr Griff war grausam hart. Charlie le Mat verlor vor Schreck fast den Verstand. Er reagierte, so schnell dies im Wasser möglich war, bog den Oberkörper zurück, vermochte sich jedoch nicht zu befreien.
Ein bleicher Mann stieg aus der Dunkelheit. In seinen schwarzen Augen leuchtete es kalt. Er trug schäbige Seemannskleidung und hatte eine wulstige Narbe an der rechten Wange.
Charlie le Mat wußte nicht, ob er Nimu Brass persönlich oder einen seiner Piraten vor sich hatte. Es war auch nicht wichtig, diese Frage jetzt zu klären.
Viel wichtiger mußte es sein, sich von dem brutalen Würgegriff zu befreien. Charlie versuchte sich herumzuschrauben, doch das ließ der unheimliche Pirat nicht zu.
Der Unhold aus der Vergangenheit griff nun auch mit der zweiten Hand nach Charlies Kehle, und damit schien das Schicksal des Jungen besiegelt zu sein.
Charlie le Mat zog beide Beine an. Es stemmte sie gegen den
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