018 - Der Schatz der toten Seelen
Zehnfacher Tod für Roy Cassidy.
Armbänder und dickgliedrige Goldketten fielen in den Kunststoffsack, der immer praller wurde. Roy lachte das Herz. Er dachte an die Leute von Rundfunk und Fernsehen. Sie würden Augen machen, wenn er ihnen den Schatz präsentierte.
Die Geisterpiraten bildeten hinter ihm eine Kette. Für einen Augenblick standen sie reglos da. Dann gab Nimu Brass das Zeichen, auf das sie warteten.
Sie stürzten sich auf den Jungen, der eifrig im Gold wühlte. Als ihn harte Hände packten, erschrak er. Der Kunststoffsack entglitt seinen Fingern und fiel in die Truhe.
Die Mörder aus der Vergangenheit rissen Roy Cassidy herum.
Als er die vielen bleichen Gesichter sah, fuhr ihm ein Eissplitter ins Herz. Es gab also nicht nur den Schatz, sondern auch die Piraten immer noch.
Roy versuchte sich loszureißen, doch die Gegner waren in der Übermacht. Harte Finger gruben sich in seine Muskeln, schlossen sich um Hand- und Fußgelenke, zerrten ihn von der Schatztruhe fort.
Er drehte und wand sich wie ein Aal, versuchte alles, um freizukommen, doch es glückte ihm nicht.
Ein Arm legte sich von hinten quer über seine Kehle und drückte zu. Der Schmerz machte Roy beinahe wahnsinnig. Mußte er jetzt sterben?
Bestraften ihn die Geisterpiraten dafür, daß er sich an ihrem Gold vergriffen hatte?
Er hörte auf, sich zu wehren. Sofort ließ der Druck gegen seine Kehle nach, der Schmerz ebbte ab. Drei, vier Piraten wichen vor ihm zur Seite. Sie machten ihrem grausamen Anführer Platz.
Roy Cassidy sah Kapitän Nimu Brass aus nächster Nähe. Der schreckliche bärtige Geselle grinste ihn triumphierend an. Mitleid, Gnade waren von dem nicht zu erwarten, das erkannte Roy sofort. Er befand sich in einer entsetzlichen Lage.
Eigentlich war es unvorstellbar, daß Brass und seine Mannschaft immer noch existierten – aber es war eine Tatsache, an der man nicht vorbeikam.
Du bist ihr Gefangener! hallte es in Roy Cassidys Kopf, und er fragte sich ängstlich, was diese blassen Kerle mit ihm anstellen würden. Ob sie ihn wieder freiließen?
Die geben keinem seine Freiheit zurück, wenn sie ihn erst einmal in ihrer Gewalt haben! dachte Roy. Wer denen in die Hände gerät, hat nur noch eins zu erwarten: den Tod!
***
Mit nur einer Flosse am Fuß kämpfte sich Charlie le Mat vom Schiffswrack weg. Hell loderte die Panik in ihm. Um ein Haar wäre er diesem unheimlichen Piraten zum Opfer gefallen.
Es war verständlich, daß er nun nur einen Wunsch hatte: so schnell wie möglich aus dem Wasser zu kommen. Hier unten war es viel zu gefährlich.
Zum Teufel mit dem Schatz. Er war es nicht wert, daß man dafür Kopf und Kragen riskierte. Charlie wühlte sich mit den Händen förmlich durch das Wasser. Er beneidete Jimmy MacKenzie, der sich rechtzeitig in Sicherheit gebracht hatte.
Ich wollte, ich wäre schon bei ihm auf der Yacht! dachte Charlie gehetzt. Helle Panik loderte in ihm. Durch seinen Kopf wirbelten Dutzende Gedanken.
Wo befanden sich die anderen Piraten? Wo war Roy Cassidy!
War auch er angegriffen worden?
Charlie sah, wie hinter einem graublauen Felsen Sand aufgewirbelt wurde. Gebannt blieb sein Blick an der Sandwolke hängen. Etwas bewegte sich in ihr.
Charlie blieb das Herz fast stehen, als er erkannte, was dort los war. Kapitän Nimu Brass tauchte mit seiner Mannschaft auf. Doch schlimmer als diese Wahrnehmung war, daß sich Roy Cassidy in der Mitte dieser Geisterpiraten befand.
Sie haben Roy erwischt! schrie es in Charlie le Mat. Ein furchtbarer Kampf tobte in seiner Brust. Er wollte fliehen.
Gleichzeitig aber war ihm klar, daß er Roy jetzt nicht im Stich lassen durfte. Roy brauchte Hilfe. Er, Charlie, konnte, wollte und durfte den Freund nicht seinem Schicksal überlassen.
Flucht? Später…
Trotz der großen Angst schwamm Charlie le Mat auf die Geisterpiraten zu. Er mußte Roy aus der Klemme heraushauen.
Roy hätte dasselbe für ihn getan.
Es grenzte an Wahnsinn, die unheimliche Mannschaft anzugreifen. Charlie hoffte, daß er die Piraten damit so sehr verblüffte, daß sie für einen Augenblick Roy Cassidy vergaßen.
Die rauhen Gesellen zerrten Roy mit sich. Ihr Ziel war das Geisterschiff. Charlie erblickte hinter dem Felsen die offene Schatztruhe. Roy hatte das Gold der toten Seelen gefunden, doch sie ließen es sich nicht wegnehmen.
Charlie schwamm schneller. Drei Piraten blieben zurück. Sie wandten sich Charlie le Mat zu. Wenn er Roy helfen wollte, mußte er zuerst diese gefährliche Hürde
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