018 - Der Schatz der toten Seelen
Gegner, bäumte sich wild auf. Die Todesangst verlieh ihm zusätzliche Kräfte.
Der Unheimliche bleckte gelbe Zähne. Sein Gesicht verzog sich zu einem teuflischen Grinsen. Er war sich seiner Sache sicher, fühlte sich dem Jungen kräftemäßig überlegen.
Doch Charlie schaffte das schier unmögliche. Sein Druck wurde so stark, daß ihn der Pirat freigeben mußte. Als die eiskalten Totenfinger sich von Charlies Hals lösten, stieß er sich von dem Schrecklichen ab und schoß an den morschen Bohlen des Schiffes entlang.
Wo war die Öffnung, durch die er hereingelangt war? In der Aufregung konnte er sie nicht finden. Er blickte entsetzt zurück und sah, wie der Bleiche langsam durch das Wasser schritt.
Er schwamm nicht, er ging, und jeder seiner Schritte war dumpf polternd zu hören. Wahnsinn. Charlie le Mat sträubten sich die Haare. Nein, jetzt wußte er mit Sicherheit, daß er sich zum Dämonenjäger nicht eignete.
Es war nicht hart, nicht abgebrüht genug. Vielleicht fehlte ihm auch die Erfahrung. Jedenfalls reichte ihm diese Konfrontation mit dem Grauen.
Sie sollte ihm eine Lehre seine. Er würde bestimmt keine weitere mehr anstreben – vorausgesetzt er überlebte diese erste Begegnung überhaupt.
Wenn es einen lebenden Piraten gab, mußte es auch mehrere geben. Wo waren die andern? Auch auf dem Schiff? Oder hatten sie sich draußen versteckt?
Dann war auch Roy Cassidy in Gefahr. Großer Gott, Jimmy MacKenzie hatte das einzig Richtige getan. Der schwarze Strudel war eine Warnung gewesen, die sie nicht mißachten hätten dürfen. Das rächte sich nun auf eine grauenvolle Weise.
Charlie le Mat stieß mit der Schulter gegen ein eisernes Hindernis. Ein glühender Schmerz durchzuckte seinen Arm. Der Junge fragte sich bange, ob er je wieder aus diesem verfluchten Schiff herausfinden würde.
Der Pirat näherte sich ihm wie in Zeitlupe. Und trotzdem war der Bleiche nicht aufzuhalten. Nach wie vor verzerrte dieses widerwärtige Grinsen sein häßliches Gesicht.
Charlie stellte sich dem Unheimlichen mit dem Messer in der Hand. Er wartete nicht, bis der Pirat ihn angriff, sondern stemmte sich von der Wand ab und stieß sich ihm mit vorgestrecktem Messerarm entgegen.
Der blasse Seemann blieb stehen. Er wich nicht zurück, nicht zur Seite, traf keine Anstalten zur Abwehr. Er wußte, daß ihm der Junge mit seinem Messer nichts anhaben konnte.
Charlie schlug mit den Flossen kräftig auf und ab, um seine Geschwindigkeit zu erhöhen, und er legte sein ganzes Körpergewicht in den Stoß. Die Klinge traf die Brust des Schrecklichen. Sie glitt von einem Knochen ab und drang bis zum Heft ein.
Der Pirat zeigte nicht die geringste Wirkung. Seine Finger schlossen sich um Charlies Handgelenk. Er drehte Charlies Arm brutal herum. Der Junge schrie. Luftblasen blubberten aus seinem Mund. Er mußte das Messer loslassen. Es blieb in der Brust des Piraten stecken. Für Charlie sah das so entsetzlich aus, daß er die Augen schließen mußte.
Der Bleiche riß ihn auf sich zu. Charlie le Mat wuchtete sich hoch. Er rollte im Wasser rückwärts. Noch einmal gelang es ihm, freizukommen. Ein drittes Mal würde er so viel Glück bestimmt nicht haben.
In panischer Furcht schwamm er um sein Leben. Er war fast blind vor Angst und fand die Öffnung, durch die er aus dem Wrack gelangen konnte, nur zufällig.
Mit beiden Händen griff er nach dem Rand und zog sich vorwärts. Der Pirat schnappte nach Charlies linkem Bein. Ehe sich die Finger fest um das Gelenk schlossen, strampelte der Junge bestürzt, und in der Hand des Bleichen blieb nur eine Schwimmflosse zurück.
Als sich Charlie le Mat durch die Öffnung schob, flehte er alle Heiligen an, sie möchten ein Wunder geschehen lassen und ihn retten.
***
Aufgeregt wühlte Roy Cassidy seine Finger in den Goldschatz.
Auf dem Fest in Cullkirk würde von nichts anderem mehr gesprochen werden. Wochenlang würden die Leute darüber reden.
Der Schatz der toten Seelen, den es für viele nicht gegeben hatte, würde in aller Munde sein.
Roy bemerkte immer noch nicht, daß sich hinter ihm das Unheil zusammenbraute. Er schaufelte so eifrig Gold in den Kunststoffsack, daß er die Welt um sich herum völlig vergaß.
Nimu Brass schien über den Meeresboden zu schweben. Drei, vier unheimliche Gestalten tauchten hinter ihm auf – und es wurden laufend mehr.
Sie näherten sich dem ahnungslosen Taucher. Eine stumme Prozession des Bösen. Die Inkarnation der Hölle. Acht-, neun-, ja zehnfaches Grauen.
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