0182 - Der Seelenfresser
geschlossen, und nichts an ihm bewegte sich, als atme er nicht einmal. Habe ich ihn überhaupt einmal atmen gesehen? fragte Teri sich, welcher der Zauberer vom Artushof immer noch ein Rätsel war.
Selbst für die Druiden lag seine Herkunft im Dunkeln, und Merlin selbst schwieg sich darüber aus.
Jetzt hatte er seinen Geist auf die Reise geschickt. Als Teri nach seinem Gedankeninhalt tastete, fand sie nicht einmal mehr die übliche Sperre, aber eine schmale Bewußtseinsbrücke, die nach irgendwo ging. Dorthin, wo Merlins Geist sich befand!
Aufmerksam beobachtete sie den Mann in der weißen Kleidung.
Keine Unregelmäßigkeit an seinem Verhalten deutete darauf hin, daß Teri eingreifen und ihn von außen zurückholen mußte.
Sie wurde nicht ungeduldig, als eine halbe Stunde verstrichen war und sich noch keine Änderung abzeichnete. Sie hatte Zeit, weil kein Termin sie drängte.
Aber dann war Merlin plötzlich wieder er selbst. Von einem Moment zum anderen war sein Bewußtsein in seinen Körper zurückgekehrt. Er schlug die Augen auf, hob ruckartig den Oberkörper herum und schwang die Beine über die Kante der Liege. Immer noch die Arme vor der Brust gekreuzt, lächelte er Teri an.
Fragend erwiderte sie seinen Blick.
»Mit meinem Verdacht hatte ich recht«, sagte er, ohne ihr vorher verraten zu haben, worin sein Verdacht bestanden hatte. »Derjenige, der Gryf hat verschwinden lassen, versuchte es auch mit Zamorra, und ich habe das dumpfe Gefühl, daß er sich dabei meines Sterns bedient hat. Das eröffnet ganz neue Perspektiven.«
Teri sprang auf. In ihren schockgrünen Augen funkelte es. »Das hast du befürchtet…?«
Merlin nickte. »Ich hatte sogar noch mehr befürchtet. Aber ich weiß jetzt, daß die Entführungsaktion nicht ganz geklappt hat, und ich weiß auch, wo Zamorra sich aufhält, weil ich den Schatten seines zeitlosen Sprungs gesehen habe, der ihm aufgezwungen wurde. Aber wer der unheimliche Gegner ist, kann ich immer noch nicht sagen.«
Vor Merlin ging sie in die Knie und legte dem Sitzenden beide Hände auf die Schultern. »Wie bist du zu dieser Ahnung gekommen?« fragte sie ihn. »In der Nacht warst du noch zuversichtlich, daß dein Stern Gryf zurückholen könnte…«
»Und jetzt bin ich es nicht mehr!« erwiderte Merlin und umfaßte ihre Handgelenke. Ganz dicht war sein Gesicht vor ihrem, und seine Stimme war jetzt fast unhörbar.
»Der Unheimliche muß weitaus gefährlicher sein, als ich ahnen konnte. Er greift Zamorra über das Amulett an, ohne daß dieses sich dagegen wehren kann. Zamorra hat nur den Vorteil, sich jetzt in unmittelbarer Nähe der Gefahr zu befinden, aber dieser Vorteil kann auch zur Katastrophe werden.«
»Zamorra ist auf Lewis…?«
Er nickte nur.
»Und was werden wir jetzt tun?« fragte sie. »Gryf verschwunden und Zamorra in Gefahr…«
»Noch kann ich nichts tun«, erwiderte er leise und erhob sich. Dabei zog er die hübsche Druidin mit empor und sah sie an. Wie er für sie ein Rätsel war, war sie es auch für ihn, weil selbst der Weise Merlin sich nicht erklären konnte, warum ihr langes, weich fließendes Haar nicht blond, sondern golden war. »Solange ich nicht weiß, wer und was der Gegner ist, kann alles, was ich unternehme, falsch sein und zum Untergang führen. Ich kann vorläufig Zamorra nur aus der Ferne beobachten, und dazu brauche ich dich, um mich zu überwachen und notfalls zurückzuholen, wie du mich gerade überwacht hast.«
Da fragte sie ihn: »Warum, Merlin? Fühlst du dich selbst nicht mehr stark genug?«
Er lachte, aber, nur mit den Augen. »Stark genug bin ich immer noch, aber ich weiß nicht, wie stark der andere ist, und solange ich annehmen muß, daß er irgendwie mit dem Stein der Druiden zu tun hat, kann ich nur das Schlimmste annehmen…«
Kopfschüttelnd trat Teri ein paar Schritte zurück und stemmte die Hände in die nackten Hüften. Ein Merlin, der in Pessimismus machte, war ihr fremder als alles andere, aber warum war er so unsicher, den sie bisher für mit fast göttlichen Fähigkeiten ausgestattet angesehen hatte?
Hatten auch die Fähigkeiten eines unsterblichen Magiers ihre Grenzen?
***
Von einem Moment zum anderen erwachte Nicole wieder aus ihrer Starre. Wie aus einem Traum erwachend, sah sie sich um und erkannte Manuela, die ihr gegenüber saß. Von Raffael war nichts zu sehen.
Über Manuela hing eine Uhr an der Wand. Zufällig fiel Nicoles Blick darauf, und sie erinnerte sich, daß sie gerade noch darauf gesehen
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