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0184 - Der Kraken-Götze

0184 - Der Kraken-Götze

Titel: 0184 - Der Kraken-Götze Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rolf Michael
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Knacken dürrer Äste ließ Jürgen Reisewitz aus dem siebenten Himmel der Liebe unsanft auf die Erde fallen. Er hob den Kopf und spähte suchend in das Dunkel. Sanft aber bestimmt schob er Susis Arme von sich, die ihn erneut umfassen wollten. In ihrem Blick lag die unendliche Sehnsucht nach Zärtlichkeit.
    Aber erst mußte dem Spanner, der sie da umschlich, das Handwerk gelegt werden. Irgendwo im Wald trieb sich einer herum, dem Gott weiß Was daran gelegen war, hier ein Liebespaar zu beobachten. Jürgen knirschte mit den Zähnen. Jetzt war er nicht mehr der sanfte Junge, der seine Gefühle bloßlegte - jetzt war er wieder ›Zoppo‹, der Präsident der ›Lone Riders‹. Und mit diesem Zoppo war nicht gut Kirschen essen. Manch einer im Dorf hatte üble Bekanntschaft mit seinen Fäusten gemacht.
    Zoppo würde es mit dem, der ihn in den Armen einer Frau hatte schwach werden gesehen, mächtig rauh machen.
    Mit elastischen Schritten ging Zoppo in den Wald, alle paar Meter anhaltend, um Geräusche wahrzunehmen und den unsichtbaren Gegner zu lokalisieren. Susi Brandner wagte es nicht, ihrem Freund zu folgen. Sie fürchtete sich vor der Dunkelheit. Und an der Stelle, wo sie gesessen hatten, goß der Silbermond seine Helligkeit aus.
    Raschelndes Laub ließ das Mädchen herumfahren. »Jürgen?« fragte ihre verängstigte Stimme in der Hoffnung, daß Zoppo die Jagd aufgegeben hatte. Keine Antwort erfolgte, nur erneutes Rascheln der welken Blätter, Sinnbilder des Verfalls. »Jürgen, sag doch was!« Die klare Luft des Waldes schien plötzlich von einer unaussprechlichen Bedrohung erfüllt zu sein. Wie polare Kälte in den menschlichen Körper kriecht, so keimte die Furcht in ihr auf.
    Gewaltsam mußte sie sich dazu zwingen, trotz der aufkommenden Ängste sich vollständig herumzudrehen. Und dann sah sie ihn.
    Alle Farbe entwich Susi Brandners Gesicht, es wurde weiß wie ein Totenlaken. Die Pupillen wurden in den schreckgeweiteten Augen unwirklich groß.
    Sie kannte ihn. Alle hatten ihn gekannt. Auch sie, Susi Brandner, hatte es kalt gelassen, als man ihn vor wenigen Tagen in die Erde senkte auf daß der Leib, der vom Staube kam, wieder zum Staub werde. Und jetzt stand er vor ihr.
    Es würgte in Susis Kehle. Sie wollte schreien, ihre Todesfurcht herausbrüllen, aber es kam nur ein heiseres Krächzen hervor. Wurden die alten Legenden wahr? Kamen die Toten in die Welt der Lebendigen zurück? Wollte die dem Grabe entstiegene Gestalt ihr den nahen Tod ankündigen?
    Das Mädchen machte sich keine Gedanken darüber. Grauen schüttelte ihren Körper wie ein verbrennendes Fieber. Der Besucher aus dem Totenreich, der einst Siegmund Stoller gewesen war, näherte sich ihr mit langsamen, fast mechanisch abgehackt wirkenden Bewegungen. Wie ein Roboter. Wie ein Automat. Wie eine Marionette, die durch den Fadenzug des Meisters zu irrealem Leben erwacht.
    Endlich, als hätte ihr jemand ins Gesicht geschlagen, war der würgende Kloß fort, der ihre Stimmbänder blockierte. Schon streckte Siegmund Stoller seine Hand nach ihr aus, wie die Krallen eines Raubvogels erschienen sie dem Mädchen.
    Da entrang sich ihrer Kehle ein markerschütternder Schrei im schrillsten Falsett. Alles Grauen, Furcht und Todesnot war in diesem Kreischen enthalten. Wenige Herzschläge später Krachen und Brechen im Geäst, der Wald spie eine schwarze Gestalt auf die Lichtung.
    »Zoppo!« stöhnte das Mädchen fast erleichtert.
    ***
    »Bringe mir Menschen! - Bringe mir Wissen! - Bringe mir Leben!«
    Das, was einst Siegmund Stoller gewesen war, machte sich keine Gedanken darüber, ob ihn ein böses Verhängnis oder höllische Instinkte zu dem Platz geführt hatten, wo Jürgen und Susi miteinander Küsse tauschten. Leben -ja, hier war es. Er würde das Leben greifen und mitnehmen, würde es zu seinem Meister bringen. Sein leerer Sinn, dem das Begreifen von Gefühlen nicht mehr gegeben war, nahm keine Notiz von der Angst des Mädchens.
    Das Krachen hinter sich im Gebüsch nahm der Tote nicht zur Kenntnis. Nichts würde ihn von seinem Wege abbringen. Und wer sollte ihm, den der Meister mit den Kräften des Bösen ausgestattet hatte, gefährlich werden. Ein Mensch, der dachte, hätte anders reagiert, der Tote aber handelte mit der Logik und der Überlegenheit eines Computers. Er ignorierte das Brüllen des Motors hinter ihm, verspürte nicht den gleißenden Lichtkegel des Scheinwerfers hinter sich. Wie von gelblichem Höllenfeuer umflossen sah Susi Brandner die Gestalt.

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