0185 - Unser Hit in Harlem
dieses Heulen, das Sammys Lebensgeister weckte und seinen Willen neu entfachte. Er warf sich herum und wie ein flüchtendes Tier hetzte er davon.
Er sah nicht - und vielleicht hörte er es nicht einmal - dass Nelsons Mörder die Hand aus der Tasche riss und schoss. Die Kugel verfehlte den Jungen. Der Mann setzte sich in Trab.
Sammy war viel schneller als der Mann, und er wäre ihm leicht entkommen, wenn er es gewagt hätte, durch die Barriere zu schlüpfen, die Straße zu überqueren und die Häuser wieder zu erreichen. Der Gedanke kam ihm nicht. Die Straße jenseits der Barriere war das Gebiet des Mörders. Der Junge rannte blindlings geradeaus.
Einer der Betonpfeiler der Brücke sperrte die Kaimauer in ganzer Breite. Sammy prallte dagegen wie ein gehetztes Tier in das Netz. Er riss den Kopf herum, und er sah, wie der Mörder mit staksigen, ungeschickten Bewegungen auf ihn zukam.
Ein schmaler Betonsims lief rings um den Pfeiler. Sammy sprang wie eine Katze auf den Sims. Es gab keinen Halt für seine Hände, und er musste sich flach gegen den rauen und feuchten Stein pressen. Er schob sich auf dem Sims entlang, hinaus über den Fluss. Fuß für Fuß setzte er vor, den schmalen, leichten Körper gegen die graue Wand gepresst, den Kopf zur Seite gedreht, den Mund weit offen.
An der Querseite des Pfeilers brach der Sims ab. Sammy stieß einen kleinen, erschreckten Schrei aus. Er richtete den Kopf nach unten und sah das gelbe gurgelnde Wasser des Harlem River. Verzweifelt blickte er nach oben. Zwei- oder drei Mannslängen über ihm liefen die Eisenträger der Brücke, viel zu hoch für den Jungen, um sie zu erreichen. Der Junge erstarrte. Er hörte das erst ferne, dann sich rasch nähernde Donnern eines Zugs, und als die Brücke unter dem rasenden Gewicht zu dröhnen und zu erbeben begann, da war es, als geschähe es nur, um die leichte lebendige Last abzuschütteln und in den Fluss zu schleudern.
Für den Mann, der den Jungen töten wollte, um den letzten Zeugen seiner Tat zu beseitigen, verschwand Sammy in dem Augenblick aus dem Blickfeld, als er die Ecke des Pfeilers auf dem Sims umturnte. Der Brückenpfeiler ragte weit in den Fluss hinaus, und der Mann hätte weit zurücklaufen müssen, um den Boy wieder sehen zu können.
Ihm gellten die Sirenen der Polizeiwagen in den Ohren. Er ahnte, dass es längst zu spät für ihn war, aber er war besessen von dem Gedanken, den Jungen zu töten.
Er sprang auf den Sims, aber er fiel zurück, und es gelang ihm erst beim dritten Versuch, oben zu bleiben. Er schob sich vorwärts. Gleich würde er die Ecke erreicht haben, und dann… dann würde nur noch eine Entfernung von zwei oder drei Yards zwischen der Pistole in seiner Hand und dem Jungen liegen. Der Mann keuchte, aber vielleicht kicherte er auch.
***
Der Streifenwagen des 82. Reviers, an dessen Steuer Lieutenant Robert Walker selbst saß, raste auf die Kaistraße, als der Mann fast die Ecke erreicht hatte. Walker drückte das Gaspedal nieder. Der Wagen schoss vorwärts, befand sich innerhalb von vier Sekunden auf der Höhe des Brückenpfeilers. Walker trat auf die Bremse, riss die Tür auf und stürzte hinaus. Mit einem Satz übersprang er die Barriere, mit einem zweiten Sprung erreichte er den Pfeiler.
Der Mann hatte die Ecke geschafft. Vorsichtig hob er die rechte Hand mit der Pistole… Walker handelte instinktiv. Er tat einen einzigen verzweifelten Hechtsprung. Er berührte den Mann mit den ausgestreckten Händen, seine Finger krallten sich in den Stoff. Der Mann schrie auf. Er verlor den Halt. Beide, der Mörder und der Polizist, wirbelten durch die Luft. Schwer klatschten ihre Körper auf das Wasser, und die gelb-grauen Fluten des Harlem River schlossen sich über ihren Köpfen. Nein, sie ertranken nicht, weder Walker noch James Hoggardt. Walker selbst hielt den halbbewusstlosen Rauschgiftboss über Wasser, bis die Besatzungen der anderen Streifenwagen beide Männer aus dem Fluss zogen. Ein Cop holte Sammy vom Pfeiler herunter, denn der Junge war unfähig, sich zu bewegen.
Als ich am Tatort eintraf, war alles erledigt. James Hoggardt lehnte mit geschlossenen Augen im Fond eines Wagens, die Hände mit Handschellen gefesselt. Ich blickte in das Gesicht des Anwaltes, und jetzt verstand ich kaum, dass ich nicht von Anfang an auf diesen Mann getippt hatte, denn mir schien, als stünden alle Verbrechen, die er begangen hatte, in dem Gesicht zu lesen.
»Bringen Sie ihn ins Hauptquartier«, bat ich Walker, dem das
Weitere Kostenlose Bücher