0185 - Unser Hit in Harlem
an.
»Schickt ’ne Kanne Schokolade hoch und einen Berg Kuchen!«, befahl ich.
Bis die Schokolade kam, ließ ich mir von Walker, der genauso übermüdet war wie ich, erzählen, wie er den Boy gefunden hatte. Zusammen mit der Schokolade aus der Kantine kam Phil.
Wir boten Sammy den Kuchen und das Getränk an. Er schüttelte den Kopf. Er hatte seine Schüchternheit noch nicht überwunden.
Ich stopfte mir selbst ein Stück Kuchen in den Mund und schenkte mir eine Tasse Schokolade ein, obwohl ich das süße Zeug nicht besonders mochte. Phil und Walker folgten dem Beispiel.
Sammy blickte von einem zum anderen. Plötzlich tastete seine dunkle Hand nach einem Kuchenstück. Ich lachte: »Na also«, und goss ihm Schokolade ein. Sammy zeigte lächelnd seine weißen Zähne. Das Eis war gebrochen.
Wir waren zusammengekommen, um einen Mörder zu finden, aber jetzt frühstückten wir erst einmal. Wir - das waren Robert Walker, Phil und ich, und ein Sammy Lynbett, ein zwölfjähriger Junge aus den Elendsquartieren am Harlem River. Wir nahmen den Kuchen vom gleichen Teller, tranken Schokolade aus der gleichen Kanne, - und zur Hölle mit aller Rassendiskriminierung!
Sammy wischte sich den Mund nach dem letzten Stück Kuchen. Ich bot Walker und Phil Zigaretten an.
»Hast du uns den Brief von Mr. Nelson geschickt?«, fragte ich.
Sammy nickte ernst. »Ja, Sir! Mr. Nelson sagte mir, ich solle auf den Brief warten, aber bevor er damit fertig war, kamen die Männer und schossen auf ihn. Als die Männer fort waren und Mr. Nelson auf der Erde lag, ging ich in das Büro. Ich nahm meine Lohntüte und dabei auch den Brief. Ich wollte es nicht, aber…«
»Moment, mein Junge. Erzähle uns alles der Reihe nach!«
Sammy schluckte, begann aber tapfer: »Ich schrubbte den Fußboden in der Wäscherei…«
Wir ließen den Jungen erzählen. Wir unterbrachen ihn nur, wenn uns etwas unklar blieb, und als er berichtete, wie er vom Dunkel der unbeleuchteten Wäscherei aus die Männer in das Büro hatte kommen sehen, fragte Phil: »Hast du ihre Gesichter gesehen?«
»Ja, Sir!«
»Würdest.du sie wiedererkennen?«
»Jawohl, Sir!«
»Wie sahen sie aus?«
Sammy streckte die Hand aus und zeigte in Phils Gesicht.
»Wie Sie, Sir!«
Phil zuckte einen Augenblick zurück. »Was meinst du?«, fragte er verwirrt.
»Es waren Weiße, Sir«, sagte Sammy leise.
***
Knappe zehn Minuten später saßen Sammy, Walker, Phil und ich im Vorführraum, und Sammy war entschieden die Hauptperson. Wir erklärten ihm, dass wir ihm Bilder von Männern zeigen würden, und wenn sich darunter einer der Gangster aus Nelsons Büro befinden würde, sollte er sich melden.
Ich kann mir kaum etwas Langweiligeres vorstellen, als eine solche Vorführung der Bilder unserer Kartei. Immer wieder erscheint ein Galgenvogel-Gesicht nach dem anderen in dreifacher Ausfertigung auf der Leinwand, einmal von links, einmal von vorn und einmal von rechts. Ich fürchte, Phil, Walker und ich hatten alle nach zehn Minuten mit der gleichen Schlaflust zu kämpfen, aber Sammy saß aufrecht und aufmerksam, betrachtete die Bilder genau und schüttelte den Kopf.
Selbstverständlich zeigten wir die Bilder nicht wahllos. Wir hatten dem Archiv Anweisung gegeben, zunächst alle Fotos zu zeigen, die wir von Leuten besaßen, die jemals mit Rauschgift zu tun gehabt hatten. Danach erst sollten die Leute an die Reihe kommen, die wegen Gewaltverbrechen vorbestraft waren.
Dazu kam es nicht mehr. Etwa beim zwanzigsten Bild stieß Sammy einen Schrei aus.
»Das ist einer!«, rief er.
»Der Mann, der geschossen hat?«
»Nein, aber er kam mit ins Büro.«
Ich las den Namen, der unter dem Bild stand: Harry Arguzzo.
»Erzählt uns mal, was ihr von ihm wisst!«, rief ich über die Direktleitung in den Vorführraum. Sie antworteten per Lautsprecher. »Harry Arguzzo, geb. 24. 6. 25 in New York. Vorstrafen: 1940 Jugendarrest wegen Bandenbildung. 1950 zwei Jahre wegen Einbruchs, vorzeitige Entlassung wegen guter Führung. 1953 vier Jahre wegen Rauschgifthandels. 1958 Anklage wegen Totschlages an dem Rauschgifthändler Drawer, die jedoch niedergeschlagen wurde, da Arguzzo behauptete, in Notwehr gehandelt zu haben und das Gegenteil nicht bewiesen werden konnte. Letzte Adressenmeldung: Second Avenue 3168. Betreibt eine Autospedition.«
Eine große Karte von New York hing neben der Leinwand. Ich knipste die Lampe über ihr ein.
»Passt wunderbar«, stellte ich fest. »Second Avenue 3168 liegt in der Nähe der
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