0186 - Die Blutorgel
einmal ein Erzengel gewesen sein sollte, und die Erzengel waren es, die meinem Kreuz den Stempel aufgedrückt hatten.
Wie ein Betrunkener taumelte ich durch das Feuer, wußte nicht mehr, wo rechts, links, oben oder unten war, ich befand mich in einem mörderischen Kessel aus Magie und Gegenmagie.
Welche würde siegen?
Dann zerplatzte die Blutorgel. Als hätten Riesenhände sie umklammert und zusammengedrückt, so krachte dieses gewaltige Bauwerk zusammen. Die Pfeifen der Orgel splitterten nach allen Seiten weg, dieses Rieseninstrument wankte, und ich sah, wie es auf mich zufiel.
Mein Schrei war in höchster Angst geboren. Diese Orgel würde mich zerschmettern, ich riß die Arme hoch und fühlte mich plötzlich an den Händen gepackt.
Weit riß ich die Augen auf.
Vier Gesichter sah ich.
Vier ernste und gütige Gesichter, mit Augen, in denen eine zwingende Kraft steckte, und die hilfreichen Hände hoben mich hoch, weg von den stürzenden Orgelteilen.
Michael, Gabriel, Raffael und Uriel! So lauteten ihre Namen. Sie hatten das Kreuz erschaffen, so die Legende, und sie waren es, die durch das Kreuz zu Hilfe gerufen wurden, um mich den Klauen des Teufels zu entreißen.
Ich sah sie auf einmal dicht vor mir, konnte direkt in ihre Gesichter schauen, merkte, daß sie von einem weißgelben Strahlenkranz umflort waren und hörte zuletzt ein gewaltiges Brüllen.
Es war das Wutgebrüll des Teufels, der sich seiner Beute entrissen sah. Danach wußte ich nichts mehr, denn das Kreuz und die Engel explodierten vor mir in einer grellen, lautlosen Detonation, die alles mit sich riß.
Auch mich…
***
Die Luft war kühl und klar, als ich die Augen öffnete. Sterne schimmerten am Himmel, der wirkte wie schwarz angestrichener Samt.
»Da bist du ja«, sagte Suko, und ein Schatten fiel über mich. Es war nicht der meines Freundes, sondern ein wesentlich schmalerer. Er gehörte Manuela Meyer.
Ich richtete mich auf.
Da war kein dumpfes Gefühl im Kopf, nichts. Es schien, als hätte ich nur geschlafen.
Sie hockten um mich herum.
Manuela, Suko, der Sheriff und drei Personen, die ich nicht kannte.
Eine Frau, ein Mann und ein Kind. Sie blickten allesamt ein wenig verstört und waren bleich wie eine frisch verputzte Hauswand.
»Und?« fragte ich.
Suko gab keine Antwort. Dafür lächelte er, und ich wußte, daß sich seine Gedanken in die korrekte Richtung bewegten.
Aber der Sheriff sagte etwas. »So was habe ich noch nie erlebt. Wir haben draußen gewartet, hörten sogar das Schreien, sahen das Feuer, rannten hin und fanden euch. Gleichzeitig verschwand auch der Nebel, nur die Höhle ist zusammengekracht, von der Orgel ist nichts mehr übrig und auch nichts von den Zombies. Sie sind weg, verschwunden, als hätte es sie nie gegeben.«
»Vielleicht haben sie auch nie existiert«, sagte ich leise.
»Nein, das glaube ich nicht. Was meinen Sie, Manuela?«
»Ich begreife überhaupt nichts mehr.«
»Und Sie?« wandte sich der Sheriff an die Familie, die dicht zusammensaß.
»Wir haben nur geträumt«, antwortete der Mann. »Nur geträumt. Es war ein Traum, in dem Geister mitspielten. Sie haben uns gerettet. Ich sah Gesichter und einen strahlenden hellen Glanz. Nicht wahr, Jenny? Es war ein Traum, ein wunderbarer Traum.«
»Ja, das war er«, flüsterte die Frau und begann leise zu weinen.
Diesmal vor Glück.
Ich aber schaute zum Himmel, der sich unendlich in seiner Weite über unsere Köpfe spannte.
Diesmal hatte Asmodis persönlich eine Niederlage erlitten, allerdings nicht durch mich, sondern durch das absolut Gute. Ich war froh, daß es dies noch gab und das Gefühl, dem Leben wiedergegeben worden zu sein, es durchströmte mich wie ein elektrisches Kraftfeld.
Wir besaßen Waffen des Lichts, starke Feinde standen gegen uns, manchmal unüberwindlich, doch es gab Wesen, die schützend ihre Hände über uns hielten.
Es war ein beruhigendes Gefühl, dies zu wissen…
ENDE
[1] Siehe John Sinclair Nr. 122 »Der Knochenthron«
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