0188 - 7 Uhr - die Stunde des Todes
unser Verbrecheralbum durchsehen, um Lorren darin zu suchen. Wie steht es damit?«
»Deswegen komme ich ja, Jerry. Du weißt, die Frau muß von ihrer Witwenrente leben. Gestern saß sie den ganzen Tag im Archiv und blätterte die Fotoalben durch. Heute weigert sie sich weiterzumachen.«
»Warum?«
»Sie sagt, sie müsse ihre Heimarbeit fortsetzen. Sie näht die Fransen an Cowboyhosen für Kinder. Ich habe den Eindruck, daß wir ein paar Dollars locker machen müssen, wenn sie weiter im Archiv Fotoalben durchblättern soll.«
»Das muß sie unbedingt. Versuch, ihre Forderung möglichst niedrig zu halten! Dieser Fall wird ohnehin eine teure Angelegenheit, und du weißt ja, wie die Herren vom Rechnungshof jeden Cent nachrechnen und alles zu teuer finden. Aber die Frau muß weitermachen.«
Ich zeichnete ein Formular ab, das Johnson berechtigte, für die weitere Verfolgung dieses Falles Geld aus dem Spesenkonto auszugeben. Er grinste zufrieden und verschwand, um der Witwe die frohe Botschaft zu überbringen.
Für mich stand fest, daß dieser Lorren — der Name war sicherlich falsch — zu den Leuten gehörte, die den Überfall auf Looker ausgeführt hatten. Er war der Mann gewesen, der die günstigste Zeit ausbaldowert hatte. Wenn wir ihn finden konnten, mußte es möglich sein, von ihm aus die Verbindung zu den anderen herzustellen.
***
Phil beschäftigte sich am Nachmittag noch ein bißchen mit Präsident Rochester.
Es mochte acht Uhr abends geworden sein, als ich stöhnend den ganzen Papierkram auf meinem Tisch von mir schob, mich zurücklehnte und mir die Augen rieb. Das war kein Fall für mich. Ich will gern allein in eine Unterweltkneipe gehen und mir den Mann herausholen, den ich holen will. Ich will ebensogern eine Nacht lang in einer zugigen Ecke stehen und auf einen bestimmten Kerl warten, den wir aus diesem oder jenem Grunde brauchen. Aber man sollte mich mit diesem Papierkrieg verschonen!
Natürlich war ich mir darüber im klaren, daß dieser Fall zunächst gar keine andere Arbeitsmethode gestattete. Gerade weil keine einzige vernünftige Spur vorhanden war, mußten wir unser Tätigkeitsfeld so weit ausdehnen und tausend Spuren suchen, um darunter vielleicht doch die eine zu finden, auf die es schließlich ankommen würde.
Ich steckte mir eine Zigarette an und überlegte mir, wem ich den Papierkram für ein paar Stunden überlassen könnte. Ehrlich gesagt, ich wußte nicht, was ich draußen in der freien Wildbahn eigentlich tun wollte. Aber jeder Muskel in meinem Körper zuckte, und jeder Nerv trieb mich ins Freie. Bevor ich zu einer Entscheidung gekommen war, klopfte es an die Tür.
»Ja, herein!« seufzte ich laut.
Es erschien Lieutenant Horne. Seine Uniform war zerknittert, als hätte er darin geschlafen. Später erfuhr ich, daß es auch so gewesen war. Horne hatte sich in seinem Office ein Feldbett aufgebaut und schlief in unregelmäßigen Abständen ein oder zwei Stunden unter seinem Wintermantel, um sofort nach dem Erwachen wieder an die Arbeit gehen zu können. Unsere Leute riefen alle 20 Minuten an, um von ihm eine Auskunft über diese oder jene in seinem Revier wohnende Person einzuholen.
»Hallo, Horne!« sagte ich. »Setzen Sie sich! Nett, daß Sie mich mal besuchen. Ich wollte sowieso gerade eine Pause machen. Mir qualmt der Kopf wie der Schlot einer Dampflokomotive.«
Horne setzte sich. Ich sah ihn erwartungsvoll an. Irgend etwas hatte er auf dem Herzen. Das sah man auf den ersten Blick.
»Was ist los, Horne?« fragte ich. »Sie wollen was! Raus mit der Sprache!«
Er hatte die Lippen zusammengepreßt, so daß sie zwei schmale weiße, scharfe Striche in seinem Gesicht waren. Sein Atem ging stoßweise. Plötzlich wurde mir bewußt, daß es still war im Office — unheimlich still.
Plötzlich hob Horne den Kopf. »Cotton«, stieß er rauh hervor, »mein Junge ist noch nicht nach Hause gekommen. Jetzt ist es halb neun. Jack ist genauso alt wie Billie. Sie sind nur vier Wochen auseinander. Und er ist noch nie nach halb acht gekommen…«
Irgend etwas strich kalt über meinen Rücken. Jetzt war es wirklich totenstill.
***
Hornes Stirn war ein Meer von Schweißperlen. Im Licht meiner Taschenlampe konnte ich sie glitzern sehen wie Tautropfen.
»Nichts«, krächzte er, und seine Stimme versagte fast. Er ließ den Deckel der letzten Mülltonne los. Laut krachend schlug der auf das Gefäß zurück. Das Geräusch hallte von den Wänden der Einfahrt wider.
»Wo können wir noch
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