0188 - 7 Uhr - die Stunde des Todes
sein?«
»Auch das ist möglich.«
Woolfe schwieg. Wir steckten uns Zigaretten an. Durch die Fenster des großen Einsatzwagens konnte man allmählich, die Lichter in den Nachbarhäusern verlöschen sehen, denn es war halbwegs hell geworden. Hinten bei der Straßensperre hatte sich eine große Menschenmenge angesammelt.
In einer Stunde würden es die ersten Radiostationen durch die Frühnachrichten senden. In wenigen Minuten mußten die ersten Zeitungen erscheinen. Innerhalb einer halben Stunde würde es das Tagesgespräch von New York, nach ein bis zwei Stunden das Tagesgespräch der USA sein.
Woolfe setzte seinen Bericht fort. Ich konnte nicht mehr länger zuhören, denn einer der Kollegen klopfte ans Fenster des Wagens und winkte mir.
»Entschuldigung«, brummte ich. »Da scheint was los zu sein. Phil, hör zu und erzähl mir später, was hier rausgekommen ist!«
»Okay, Jerry.«
Ich stieg aus. Es war Edward Johnson, der mich herausgewinkt hatte. Sein Pokergesicht war undurchdringlich wie immer. Er war mit den 30 Mann gekommen, die der Einsatzleiter aus der Nachtbereitschaft herausgezogen hatte.
»Ich habe da eine Frau in der Nachbarschaft aufgetrieben«, sagte er leise, »die eine merkwürdige Geschichte erzählte, Jerry. Du solltest es dir mal selber anhören. Du hast hier den Überblick. Du allein kannst entscheiden, ob die Sache von Bedeutung ist oder nicht.«
»Wo ist sie?«
»Ich habe sie da drüben in den Streifenwagen gesetzt.«
»Gut. Gehen wir mal rüber! Wie heißt sie?«
»Mrs. Stude. Sie ist Witwe und wohnt im 4. Stock da oben!«
Johnson zeigte auf ein Haus in unserem Rücken. Wir stiegen von verschiedenen Seiten in den Streifenwagen, und Eddy schaltete das Innenlicht ein. Obgleich es draußen schon ziemlich hell war, herrschte im Wagen selbst düsteres Zwielicht, denn er stand eingekeilt zwischen einem Schuppen und der hohen Hofmauer.
»Guten Morgen, Mrs. Stude«, sagte ich. »Mein Kollege berichtete mir, daß Sie eine besonders gute Beobachtungsgabe hätten. Würden Sie so freundlich sein, mir Ihre Geschichte noch mal zu erzählen?« Mrs. Stude war eine resolute, umfangreiche Frau, die soviel Sitzplatz brauchte wie zwei gewöhnliche Sterbliche. Ihr Gesicht war aufgedunsen und hatte sich in tausend kleine Falten gelegt.
»Ich kann Ihnen keine Geschichte erzählen!« schnaufte sie kurzatmig, »höchstens die Wahrheit, wenn Sie sich dafür interessieren. Aber ich sage Ihnen gleich, daß es vermutlich völlig uninteressant für Sie sein wird.«
»Das macht nichts«, winkte ich ab. »Erzählen Sie nur!«
»Viel ist da sowieso nicht zu erzählen«, schränkte sie ein. »Ich vermiete möblierte Zimmer, verstehen Sie? Meine Rente ist niedrig, weil mein Mann sein Geld lieber vertrunken hat, als es auf die Rentenkasse einzuzahlen. Naja, jedenfalls wurde vor sechs Wochen eins meiner drei Zimmer frei, und ich suchte einen neuen Mieter. Männer sind mir nämlich lieber als Frauen. Männer machen nicht so viele Umstände, Frauen wollen schon mal ein bißchen Wäsche selber waschen; da muß man ihnen dann ’ne Schüssel leihen, warmes Wasser machen, auch mal mit Seife aushelfen und — ach, du lieber Himmel, Sie haben ja keine Ahnung, wie einem Frauen auf die Nerven fallen können!«
»Doch, doch«, sagte ich und sah sie an. »Das kann ich mir gut vorstellen. Bitte, erzählen Sie weiter! Sie suchten also einen Mieter.«
»Ungefähr zehn Tage lang hatte ich keinen Mieter. War so ungünstig mitten im Monat aufgegeben worden, das Zimmer. Aber am ersten hatte ich Glück. Mr. Lorren sah sich das Zimmer an und war auch mit der Miete einverstanden. Er nahm es.«
»Wie sieht denn dieser Mr. Lorren aus?« fragte ich.
»Er ist groß, breitschultrig, ungefähr 36 Jahre alt und sehr gebildet.«
»Woran merkt man das?« wollte ich wissen.
Sie sah mich entrüstet an. »Mein Gott, so was merkt man eben!«
»Aha«, sagte ich. »Was hatte er für Haare?«
»Schwarz, sehr kurz geschnitten. Noch keine grauen Schläfen.«
»Hatte er ein besonderes Kennzeichen? Eine Narbe? Einen Akzent? Trug er eine Brille?«
»Nichts von alledem. Mr. Lorren sah ganz gewöhnlich aus. Nur benahm er sich nicht gewöhnlich.«
»Wieso nicht?«
»Weil er den ganzen Tag in seinem Zimmer hockte. Er ging nur abends aus — und dann auch immer nur für ein paar Minuten.«
Edward warf mir einen forschenden Blick zu. Er fragte sich wohl, ob diese Story Eindruck auf mich machte. Und ich mußte zugeben, sie beeindruckte mich. Wenn
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