019 - Bei Vollmond wird gepfählt
ihrer Glanzzeit nicht einmal auf die Bühne gespuckt hätte.
Während Claudia sich gekonnt entblätterte, sah sie sich das Publikum an. Ein halbes Dutzend sogenannte Bardamen saßen an der Bar oder bei den wenigen Besuchern an den Tischen. Sie betrachteten Claudias Auftritt gleichgültig oder gehässig.
Die Besucher waren das übliche: ein paar Provinzonkels, die ängstlich jeden Penny nachzählten, ein paar angetrunkene Londoner Familienväter, die etwas erleben wollten, zwei Zuhälter, ein Taschendieb und zwei halbseidene Typen, die mächtig angaben. Aus dem Rahmen fiel nur der Mann mit dem Oberlippenbart an einem der vordersten Tische. Er war groß und wirkte athletisch. Sein Gesicht war hart, aber nicht brutal. Er trug einen dunklen Anzug und einen weißen Rollkragenpullover und hatte einen Bourbon vor sich stehen. Der Mann betrachtete Claudia aufmerksam, aber nicht in der obszönen, lüsternen Art wie die meisten anderen Lokalbesucher.
Claudia streifte ihr letztes Kleidungsstück ab, einen dünnen Slip, spannte das Gummi und schnellte ihn ihm zu. Mit einer raschen Handbewegung fing er den Slip auf, nickte Claudia zu und lächelte sanft auf eine Weise, die seinem Gesicht die Härte nahm und es fast sympathisch erscheinen ließ.
Claudia machte noch ein paar grazile Verrenkungen und verschwand dann hinter dem Vorhang. In der Garderobe zog sie ein hautenges, tiefausgeschnittenes Flitterkleid über, denn sie hatte eine Stunde Zeit bis zu ihrem nächsten Auftritt. Als sie ins Lokal zurückkehrte, waren inzwischen einige Gäste mehr eingetroffen. Die brünette Sue kam zu Claudia und sagte ihr, der Mann von Tisch fünf habe nach ihr gefragt.
Claudia trank zunächst eine Cola an der Bar und setzte sich dann zu ihm. »Hallo! Wie hat Ihnen meine Show gefallen?«
»Sie könnten mehr, als in diesem Club aufzutreten. Haben Sie einmal eine Ausbildung als Tänzerin bekommen?«
»Ja, aber das ist eine Weile her. Früher dachte ich, durch Auftritte in Nachtclubs und Bars käme ich schneller voran, aber das war ein Irrtum. Ich muß Ihnen ein Kompliment machen, Sie sind einer der wenigen, die das Künstlerische meiner Nummer zu würdigen wissen. Mein Name ist Claudia.«
»Ich heiße Dorian.«
Sie kicherte. »Dorian? Genauso wie das Bildnis des Dorian Gray?«
»Genauso.«
Der Dämonenkiller bestellte einen Drink für Claudia, und sie gingen zum vertraulichen Du über. Sie plauderten über alles mögliche, und Claudia war sehr erstaunt, als sie hörte, daß Dorian ganz in ihrer Nähe wohnte. Er sagte ihr, er sei an einer Immobilienfirma beteiligt, ließ sich aber nicht näher darüber aus.
Nach ihrem nächsten Auftritt kam Claudia wieder an Dorians Tisch. Es kam bald zu den ersten harmlosen Zärtlichkeiten. Soweit verlief alles nach Dorians Plan, doch bald mußte er feststellen, daß Claudia nicht so zugänglich war, wie die meisten Striptease-Tänzerinnen es zu sein pflegen. Claudia wiederum merkte, daß Dorian nicht zu dem üblichen Striplokal-Publikum gehörte. Er hatte eine Art, die ihr gefiel. Er war sehr selbstsicher und irgendwie wirkte er geheimnisvoll und undurchschaubar.
Den Mitternachtsauftritt, den Höhepunkt des Programms, absolvierte Claudia zusammen mit der mit Rauschgift vollgepumpten Helen, mit der sie eine Menge Mühe hatte, aber die Zuschauer hatten nur Augen für die beiden nackten Frauenkörper, und der Beifall war frenetisch.
In der nächsten Pause setzte Claudia sich an den Tisch eines Industriellen, der unbedingt seine vielen Pfundnoten in Sekt investieren wollte. Er war ein aufgeschwemmter Mittvierziger mit sechs Händen – so kam es Claudia, die sich seiner dauernd erwehren mußte, jedenfalls vor. Selbst in ihren schlimmsten Zeiten hatte sie es abgelehnt, nur für Geld mit einem Mann zu schlafen, der ihr zuwider war. Mit viel Mühe schaffte sie es, den Industriellen hinzuhalten, ohne ihn allzusehr zu brüskieren. Kurz vor fünf Uhr morgens schließlich fuhr sie nach Fulham zurück. Dorian folgte ihr mit seinem Rover.
Vor dem Haus der alten Kanes verabschiedete Claudia sich recht schnell, und Dorian hatte das Nachsehen. Wenn er geglaubt hatte, gleich mit in ihr Zimmer zu kommen, so hatte er sich getäuscht.
Das Mädchen betrat das düstere alte Haus. Aus einem ihr unerklärlichen Grund schauderte sie. Sie bemühte sich, leise zu sein, als sie die Treppe hochging und ihr Zimmer aufschloß. Nachdem sie die Heizung aufgedreht hatte, kleidete sie sich aus und ging müde zu Bett. Ihr letzter
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