0193 - Der Mitternachts-Vampir
Blutsauger nicht ernst. Ich war nur froh, daß er den Kindern nicht auch etwas getan hatte.
Bevor wir die Familie Leber besuchten, waren wir an der kleinen Polizeistation des Ortes vorbeigefahren. Begrüßt wurden wir von einem Wachtmeister namens Emil Michorek. Er war ein gemütlicher Typ mit einem gewaltigen Bierbauch, doch sein Gesicht zeigte einen sehr ernsten Ausdruck. Die Entführung war ihm an die Nieren gegangen, das erklärte er uns gleich nach dem Eintritt.
»Ich kenne die Familie gut«, sagte er. »Man liest ja immer viel, schaudert mal zusammen, und wenn das Unglück dann im eigenen Bekanntenkreis geschieht, ist man geschockt. Wenn Sie verstehen, was ich meine.«
Wir verstanden ihn sehr gut.
Doch lamentieren half nichts, wir mußten uns mit Tatsachen abfinden, das sah auch Wachtmeister Michorek ein.
Er konnte uns nicht viel sagen. Als Will Mallmann vorschlug, zu der Familie hinzufahren, nickte der Wachtmeister. »Das wird wohl das beste sein, meine Herren.«
Da wir nicht alle in den Manta hineinpaßten, fuhr Emil Michorek mit dem Streifenwagen vor. Wir mußten praktisch vom unteren ins obere Dorf. Die Polizeistation befand sich im Zentrum, wo die Häuser fast alle noch so aussahen wie vor sechzig Jahren. An den Hängen jedoch hatte man die neuen Häuser gebaut und dafür den Wald gerodet. Ein harter Eingriff in die Natur. Auch waren Straßen angelegt worden, und eine davon wand sich in Kehren vom Unterdorf kommend den Hügel hinauf.
Den Weg nahmen wir.
Schon bald erreichten wir die Siedlung. Reihenhäuser, alle hell gestrichen, alle die gleiche Größe, die gleichen Vorgärten und so weiter.
Und fast überall sah ich die braunen Jägerzäune.
Der Himmel war nicht mehr so strahlend hell wie am letzten Tag.
Graue Wolkenschleier waren aufgezogen und bildeten ein gewaltiges Tuch. Der Wind hatte aufgefrischt. Irgendwie roch es nach Schnee.
Im Sommer war es hier sicherlich schön. Allein der Blick in den Taunus und auch in die Rheinebene war nicht zu verachten. Wir sahen sogar die Autobahn als schmalen grauen Streifen, über den bunte Fahrzeuge wischten.
Der kleine Vorgarten war schnell durchquert. Man hatte unsere Ankunft bereits bemerkt. Bevor der Wachtmeister noch schellen konnte, wurde geöffnet.
Ein Mann stand auf der Schwelle.
Wirr das Haar, leer und stumpf die Augen, unter denen dicke Ringe lagen. Man sah ihm an, daß er die vergangene Nacht kein Auge zugetan hatte.
Das war Dirk Leber.
»Ach, Sie sind es«, sagte er und gab den Weg frei.
Der Wachtmeister erklärte, daß er Dirk Leber von unserer Ankunft schon erzählt hätte. Kommissar Mallmann hatte ihn zuvor telefonisch von unserem Kommen berichtet.
Dirk Leber führte uns in den Wohnraum, wo zwei Flaschen und einige Gläser auf dem Tisch standen. Als man uns etwas zu trinken anbot, lehnten wir sofort ab. Ich brauchte nur an die letzte Nacht zu denken, deshalb fiel mir die Ablehnung nicht schwer.
Wir nahmen Platz.
Da Suko und ich uns nicht so gut auskannten, überließen wir Will Mallmann die Initiative. Dirk Leber schaute unruhig von einem zum anderen. Immer wenn er Suko anblickte, zeigte er sich ein wenig irritiert.
Der Kommissar bügelte dies allerdings aus, indem er erklärte, in welcher Funktion wir hier waren. Und so etwas wie Hoffnung leuchtete in den Augen des Mannes.
»Wenn Sie uns den Abend dann noch einmal genau schildern würden?« begann Will Mallmann.
Dirk Leber hob die Schultern. »Tut mir leid, meine Herren, aber ich kann Ihnen da nicht viel sagen. Mein Sohn Helmut war der Zeuge.«
»Können wir mit ihm sprechen?« fragte ich.
Leber nickte. »Helmut ist oben, soviel ich weiß. Ich könnte ihn nach unten holen.«
»Tun Sie das«, sagte Will Mallmann.
Dirk Leber verschwand. Wachtmeister Michorek wischte über seine Stirn. Er schwitzte, was kein Wunder bei seiner Figur war. »Dirk hat es hart erwischt«, sagte er und nickte bestätigend. »Verdammt hart sogar.«
»Und der Junge?« fragte Suko.
»Allem Anschein nach hat er es überstanden. Wie ich hörte, soll er sogar geschlafen haben.«
»Kinder besitzen oft eine robustere Natur als Erwachsene«, fügte ich hinzu.
»Das stimmt«, sagte Michorek.
Danach schwiegen wir. Ich schaute durch das Fenster. Der Garten zeigte schon die Novemberkahlheit. Hinten am Zaun hatten sich Nachbarn versammelt. Sie schauten scheu auf das Haus. Es ist immer schlimm, wenn in so einer Siedlung etwas passiert, was aus dem Rahmen fällt.
Dirk Leber kam zurück. In der Türöffnung
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