0193 - Der Mitternachts-Vampir
schafften sie auch die Erde zur Seite, die den Blutsauger bisher bedeckt hatte.
Morro kam frei.
Eine alte Legende lebte auf. Der Mitternachts-Vampir war wieder unterwegs.
Natürlich hatte es lange gedauert, bis er sich in der neuen Welt und Umgebung zurechtfand. Anpassungsschwierigkeiten nannte man so etwas, aber er gab nicht auf, sondern schaffte es, sich der neuen Lage anzupassen.
Vier Opfer hatte er sich bereits geholt.
Weitere würden folgen…
Das Schreien der Frau verstummte in einem Wimmern. Sie hatte die Hände vor ihr Gesicht geschlagen und weinte vor Verzweiflung. Die Schultern zuckten, sie bebte am gesamten Körper, schaute durch ihre gespreizten Finger und sah mit Schrecken, daß drei der Särge von Frauen belegt waren und diese sich jetzt langsam aufrichteten. Das geschah fließend und mit einer solchen Gleichmäßigkeit, daß man das Gefühl haben konnte, die Frauen würden an unsichtbaren Bändern hängen, die ein ebenfalls Unsichtbarer in der Hand hielt und bewegte.
Schließlich saßen sie in ihren steinernen Ruhestätten und schauten Gabi an.
Frau Leber erschauderte. Eiskalt kroch es ihr den Rücken hinunter.
Obwohl zuckender Flammenschein über die Gesichter tanzte, erkannte sie doch, wie bleich sie waren.
Bleich, blaß und blutleer…
Und sie sah noch mehr. Deutlich erinnerte sie sich an die Zeitungsberichte, in denen sie von den Entführungen gelesen hatte. In den Blättern waren jeweils die Bilder der Verschwundenen abgedruckt.
Als Gabi Leber die Frauen jetzt sah, da wußte sie genau, wen sie vor sich hatte.
Die Namen hatte sie nicht mehr behalten. Das Aussehen der drei Frauen war unterschiedlich.
Ganz links von ihr hockte die Jüngste. Sie war bestimmt noch keine Zwanzig, hatte ein schmales Gesicht und glatte, blonde Haare. Ihr Mund war klein. Als sie jetzt die Lippen zurückschob, zeigte sie ihre Zähne und auch die beiden spitzen Vampirbeißer waren zu sehen.
Die gleichen Merkmale wies auch die mittlere auf. Diese Frau war älter, ihr Haar zeigte graue Strähnen. Das Gesicht wirkte irgendwie verquollen, auf den Wangen waren dunklere Flecken zu sehen.
Wahrscheinlich Blutreste.
Die letzte Frau trug das Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden. Es war braun. In dem Gesicht fielen nicht nur die Zähne auf, sondern auch die großen Augen, die allerdings jetzt einen stumpfen, fast stupiden Ausdruck zeigten.
»Nun?« fragte Morro. »Gefällt dir meine kleine Auswahl?«
Am liebsten hätte Gabi geschrien. Nur war sie einfach nicht in der Lage, einen Laut hervorzubringen. Sie preßte ihren Handballen gegen den Mund und schwieg.
Der Vampir bewegte sich einen Schritt vor und streckte den rechten Arm mit der Fackel aus. Das Licht riß die Gesichter der weiblichen Blutsaugerinnen jetzt deutlicher aus dem grauen, schattenhaften Dunkel.
Es tanzte über die erstarrten Züge, und Gabi Leber glaubte, so etwas wie Interesse in den ansonsten toten Augen der drei Untoten zu sehen.
Sie schienen gemerkt zu haben, daß eine lebende Person vor ihnen stand, ein Mensch, in dessen Adern Blut floß. Und Blut war das einzige, wonach sie gierten.
»Nein«, sagte Morro mit knirschender Stimme. »Sie gehört mir. Und zwar mir allein. Ihr werdet das Blut nicht bekommen. Sie ist meine Braut, meine! Versteht ihr?«
Die drei antworteten nicht, machten allerdings Anstalten, sich aus ihren Steinsärgen zu erheben.
Sie winkelten die Arme an und stützten die gespreizten Hände auf die Kanten der Särge. Ihre Gier war so stark, daß sie sich nicht an die Worte ihres Meisters gebunden fühlten.
»Zurück!« befahl der Vampir.
Keine seiner Bräute gehorchte.
Da sprang Morro vor. Es gibt nicht viele Dinge, vor denen Vampire Angst haben. Silber, Knoblauch, Weihrauch - und Feuer. Letzteres könnte sie verbrennen.
Morro griff mit der Fackel an. Sein rechter Arm zuckte dabei vor und zurück, er brachte die Flamme gefährlich nahe an die Gesichter der drei Bräute.
Zwei ließen sich einschüchtern und wichen zurück, wobei sie sich in ihre Särge verkrochen.
Die dritte aber wollte es genau wissen. Mit einem fauchenden Laut auf den Lippen fuhr sie in die Höhe, schleuderte dabei ihre Arme vor und griff mit beiden Händen zu. Dabei gelang es ihr tatsächlich, das rechte Handgelenk des Vampirs zu packen. Ihr Gesicht verzerrte sich. Sie wollte ihn herumdrehen, schaffte es allerdings nicht, weil der Gegendruck zu stark war.
Morro hob sein Bein an. Fast zeitlupenhaft geschah dies. Dann aber trat er wuchtig zu.
Und er
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