0196 - Die Mörderklaue
Wieder andere schimmerten bläulich, waren sogar durchsichtig und wir sahen feine, kleine Adern in denen eine grüne Flüssigkeit ihren Weg fand.
»Nimm mal das Kreuz«, schlug der Chinese vor.
Das hatte ich auch tun wollen. Ich streifte die Kette über meinen Kopf und führte das geweihte Kruzifix in die Nähe der Blumen. Das Kreuz hatte noch keinen Kontakt mit ihnen, als es schon auf die erste Blume wirkte.
Es war eine leuchtend rote Blüte, die mich in ihrer Form an eine Tulpe erinnerte. Kaum geriet das Kreuz in ihre Nähe, da bog sie sich auch schon zurück, als hätte sie Angst.
Ich berührte die Blume.
Zweierlei geschah.
Zuerst hörte ich einen leisen, aus der Unendlichkeit stammenden Schrei, der irgendwo tief in der Erde seine Geburtsstätte haben mußte. Dann verwelkte die Blume von einem Augenblick zum anderen. Die rote Farbe verschwand und machte einem dunklen Grau Platz. Auch der Blütenstiel knickte ein und brach.
»Magie«, sagte Suko. »Verdammte Magie.«
Vor uns lag der Beweis. Eine verdorrte, geknickte Blume. Ich holte tief Luft. »Da gibt es nur eine Möglichkeit, Suko, wenn wir diesen Friedhof normalisieren wollen. Wir müssen Blume für Blume durchgehen.«
»Aber nicht nur mit dem Kreuz. Schließlich habe ich noch die Dämonenpeitsche.«
»Okay, dann packen wir sie von zwei Seiten.« Ich ging vor und wollte die erste Hälfte der Arbeit übernehmen.
Suko stand hinter mir und hatte auch den besseren Überblick. »John!« rief er scharf. »Rechts von dir.«
Ich drehte mich.
Etwas Unwahrscheinliches geschah. Die prächtig blühenden Blumen verloren nicht nur ihre Farbe, sie verwandelten sich auch. Aus den Blüten wurden andere Gegenstände. Grünlich schimmerten Klauen mit langen, gebogenen Fingern. Die gleichen Hände, wie ich sie schon bei Iris, der Untoten gesehen hatte…
Für zwei Sekunden sprach niemand von uns. Wir beobachteten nur. Ich hörte die Stimme von Detlev Menningmann, verstand allerdings nicht, was er sagte.
Auch Sarah Goldwyn sprach. Ihre Worte konnte ich ebenfalls nicht verstehen. Ich mußte mich auf die grünen Klauen konzentrieren, die sehr genau merkten, wo ihre Feinde standen, denn sie bogen ihre Gelenke so, daß die Arme auf uns wiesen.
Und natürlich die Hände.
Der Gedanke war kaum von meinem Gehirn umgesetzt worden, als ich auch schon die erste Folge spürte.
Fünf Finger umklammerten mit hartem Griff mein rechtes Fußgelenk!
***
Ein Licht!
Es brannte in der Ferne. Ein winziges Etwas in der schwammigen Düsternis der geheimnisvollen Halle.
Es stand in der Luft, rührte sich nicht und befand sich etwa in Schulterhöhe über dem Boden.
Licht im Dunklen.
Das bedeutete Hoffnung. Der helle Schein vertreibt die Nacht, die Dunkelheit flieht vor dem Licht.
Auch hier.
Es bewegte sich. Langsam kam es näher. Dabei flackerte es ein wenig und erzeugte so Schatten, die nie ruhig waren, sondern hin-und hertanzten.
Jemand trug das Licht.
Eine Gestalt, die Schritt für Schritt näherkam und sich aus dem Dämmer schälte.
Ein Mädchen.
Schwarz das Haar. Eng an den beiden Seiten des Kopfes liegend. Das Gesicht umrahmend wie eine Mütze und dabei die Ohren verdeckend.
Das Mädchen trug die Lampe mit beiden Händen. Es war eine alte Petroleumleuchte, und der warme Schein umfloß ihren Körper. Er zeigte, daß das Mädchen ein bodenlanges rotes Kleid trug, das einen weiten Ausschnitt besaß und die hellen Schultern freiließ. Unter dem Knie war das Kleid gerafft, es zeigte zahlreiche Rüschen, und der breite Ausschnitt war mit einer weißen Borde abgesetzt.
Das Mädchen schritt langsam. Es ging wie ein Geist und schien den Boden kaum zu berühren. Die Schritte waren nicht zu hören, aber es hatte ein Ziel, als es durch den langen Gang ging.
Auch die Säulen wurden von dem Schein der Lampe berührt. Jetzt erst war zu sehen, daß die meisten von ihnen ein geheimnisvolles Muster aufwiesen.
Da waren Zeichen zu sehen. Figuren, die Echsen und andere Ungeheuer zeigten.
Aber auch Geister. Schreckliche Fratzen. Verzerrt, mit weit offenen Mäulern und heraushängenden Zungen. Bildnisse von finsteren Dämonen, die in der Tiefe der Schreckendimensionen lebten und dort ein grausames Regiment führten.
Das Mädchen ging weiter. Die Fratzen schreckten es nicht. Es hatte sein Ziel.
Einen hohen Kerzenständer.
Er stand direkt neben einer Säule. Auf den fünf eisernen Armen steckten drei dunkle Kerzen. Die beiden anderen waren leer. Das Mädchen mit den schwarzen Haaren trat
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