0197 - Mörder im Chinesenviertel
erwiderte ich und stieß die Tür des Fahrstuhles auf.
Wir durchquerten die Halle und kletterten auf der Straße in den Jaguar. Auf leisen Sohlen schnurrte der Wagen davon. Keine zehn Minuten später aber standen wir schon wieder in dem Flur jener Etage, in der Mrs. Forbydes' Pension lag. Der Flur war mit abgetretenen Teppichen ausgelegt. An den Wänden hingen rote Samtportieren. Es sah alles reichlich nach Jahrhundertwende aus. Die Nippesfigürchen, die auf sinnlos geschnörkelten Säulchen und Pfeilern standen vervollkommneten das Bild.
Wir verbargen uns hinter einer der schweren Portieren, die eine Nische verkleidete, und warteten. Bis neun Uhr blieb alles ruhig. Aber dann erschienen innerhalb von fünf Minuten vier junge Mädchen. Die jüngste von ihnen mochte siebzehn sein, die älteste zählte sicher nicht mehr als zwanzig Lenze. Der grellen Aufmachung nach konnte man den Damen einiges Zutrauen.
»Was wollen die Mädchen denn in der Pension?« raunte Phil. »Ich denke, es wohnen nur Männer da?«
»Ich kann mir‘s schon denken«, erwiderte ich. »Du weißt doch, daß der Opiumraucher das letzte Bild, das er vor dem Versinken in den Rausch erblickte, mit in seinen Rausch hinübernimmt. Wahrscheinlich servieren die Mädchen den Süchtigen die Pfeifen. In entsprechender Aufmachung.«
Phil schüttelte den Kopf.
»Da sind wir ja einer schönen Lasterhöhle auf die Spur gekommen«, brummte er. »Ein Glück, daß wir uns überhaupt dazu entschlossen, die Pension unter die Lupe zu nehmen.«
»Da Jim Cacks den Ort, wo er das Onium geraucht hatte, um keinen Preis nennen wollte, blieb für uns nur die Pension als Anhaltspunkt. Und damit haben wir ja Glück gehabt«, sagte ich leise.
Eine Minute später hörten wir wieder das Geräusch des Fahrstuhles. Wir drückten uns enger in die Nische hinein und spähten vorsichtig durch den kleinen Spalt zwischen Portiere und Wand. Als der Fahrstuhl hielt und das Scherengitter mit seinem knarrenden Geräusch auseinandergegangen war, hörten wir die Schritte zweier weiterer Ankömmlinge. Aber zu dem koketten Geklapper hoher Damenschuhe erklang diesmal der wuchtigere Schritt eines Mannes.
Das Mädchen war etwas zurückgeblieben, so daß der Mann als erster in unseren knapp bemessenen Gesichtskreis geriet. Obgleich wir ihn nur von hinten sahen, erkannte ich ihn doch sofort. Es war jener Holländer, der sich mir als Jan Vermoeren vorgestellt hatte. Und das Mädchen, das ihm folgte, war natürlich Miß Li-Tschou.
***
»Was sagst du dazu?« murmelte Phil, als sich die Tür hinter den beiden geschlossen hatte.
Ich zuckte die Achseln.
»Was soll man dazu sagen? Wir sind anscheinend von allen Seiten kräftig belogen worden. Das Mädchen wußte angeblich nichts davon, daß ihr Vater Opium geraucht haben muß trotz seines angegriffenen Herzens. Mrs. Forbydes wieder behauptete, sie hätte Miß Li-Tschou nie gesehen. Und der Mann, den ich für einen harmlosen Liebhaber des Mädchens hielt, scheint seine Hände auch im Geschäft zu haben.«
»Du kennst den Mann?« fragte Phil.
»Ja. Als ich das Mädchen mit dem Jaguar vom Distriktsgebäude zurückbrachte zu ihrer Wohnung, sprach er mich an. Besser gesagt, er fauchte mich an. Er hielt mich wohl für einen Rivalen. Ich machte ihm klar, daß mich das Mädchen privat nicht interessierte, und ließ ihn stehen. Vielleicht wäre es besser gewesen, ich hätte ihm schon bei dieser Gelegenheit ein bißchen auf den Zahn gefühlt.«
Wir warteten noch ungefähr zehn Minuten, ohne daß jemand eintraf. Schließlich wurde Phil ungeduldig und fragte:
»Sollen wir die Bude jetzt nicht kurzerhand ausheben? Wenn wir telefonieren, haben wir in zehn Minuten ein halbes Dutzend G-men zur Verstärkung da, und damit können wir das Nest bequem ausräuchern.«
Damit hatte er sicher recht. Aber ich war mir nicht darüber im klaren, ob dieser Schritt jetzt schon angebracht war. Wir wußten zwar, daß in dieser sogenannten Pension Opium geraucht wurde und daß es der verstorbene Li-Tschou geliefert hatte, aber das war auch so ziemlich alles. Eine Menge weiterer Fragen blieb unbeantwortet, wie zum Beispiel jene, woher Li-Tschou seinerseits das Rauschgift bezogen hatte.
»Nein«, sagte ich, nachdem ich über diesen Punkt nachgedacht hatte. »Ich halte es für besser, wenn wir uns jetzt leise und unauffällig verdrücken. Die Pension und die wichtigsten Leute — wie das Mädchen, Mrs. Forbydes und den Holländer — werden wir von unserer
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