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02 Arthur und der Botschafter der Schatten

02 Arthur und der Botschafter der Schatten

Titel: 02 Arthur und der Botschafter der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Ruebenstrunk
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ebenso gespannt war wie ich.
    Wir hatten etwa eine halbe Stunde gewartet, als Larissa endlich in der Tür stand. Ihre roten Augen ließen darauf schließen, dass sie geweint hatte. Ich fühlte mich hilflos und war zugleich voller Wut auf denjenigen, der sie in diesen Zustand versetzt hatte.
    Wortlos setzte sie sich an den Tisch und streckte uns den Brief entgegen. Während der Bücherwurm ein Glas Apfelsaft für sie holte, nahm ich ihn auf und las. Er war mit Bleistift geschrieben und an einigen Stellen fast bis zur Unleserlichkeit verwischt. Das Papier war schwer und gelblich und fühlte sich rau an.
     
    Geliebte Larissa,
     
    zehn Jahre ist es her, dass wir einander gesehen haben, doch während der gesamten Zeit haben wir Dein Bild jeden Tag vor Augen gehabt. Es ist das Bild eines kleinen Mädchens im Alter von fünf Jahren, mit kurzen Haaren, einem herausfordernden Blick und einem verwegenen Grinsen – so lebst Du in unserer Erinnerung.
    Wir wissen nicht, wo Du Dich aufhältst und was aus Dir geworden ist. Hoffentlich hast Du ein paar Freunde gefunden und Menschen, die sich um Dich kümmern.
    Es geht uns, den Umständen entsprechend, gut. Wahrscheinlich würdest Du uns nicht mehr wiedererkennen. Papa trägt inzwischen einen langen Bart, und meine Haare reichen bereits bis zur Hüfte. Aber das sind nur Äußerlichkeiten. In unseren Herzen sind wir die geblieben, die wir immer waren. Es ist gut, dass wir uns haben, denn jeden alleine hätte der endlose Aufenthalt hier wahrscheinlich in den Wahnsinn getrieben. Und es ist gut, dass es Dich gibt, denn der Gedanke daran, Dich eines Tages wieder in die Arme zu schließen, gibt uns neue Kraft, wenn uns die Verzweiflung erfasst.
    Warum wir Dir jetzt, nach so vielen Jahren, endlich einen Brief schreiben dürfen, darüber können wir nur Vermutungen anstellen. Es scheint, als würdest Du über gewisse Fähigkeiten verfügen, die unsere »Gastgeber« gerne für ihre Zwecke nutzen möchten.
    Wir haben deshalb lange überlegt, ob wir ihren Forderungen nachkommen und diese Zeilen verfassen sollen. Denn wenn Du auf ihr Angebot eingehst (wie immer das auch aussehen mag), wirst Du Dich unweigerlich in Gefahr begeben. Und das ist das Letzte, was wir uns wünschen. Es reicht schon, dass wir dem Lockruf nicht widerstehen konnten. Wären wir damals vernünftiger gewesen, so wären wir jetzt nicht hier.
    Wo wir uns befinden und wer uns gefangen hält, dürfen wir Dir nicht sagen. Nur so viel: Es sind gefährliche Gegner, die vor nichts zurückschrecken. Wenn Du einem von ihnen begegnest (und das wirst Du wohl, denn wie anders solltest Du unseren Brief sonst erhalten?), sei Dir dessen bewusst. Geh wegen uns keine Risiken ein – wir haben Dir bereits genug Leid zugefügt. Mit ein wenig Glück werden wir es schon schaffen, irgendwann zu Dir zurückzukehren.
    In Liebe Deine
     
    Mama und Papa
     
    Nachdem ich den Brief gelesen hatte, reichte ich ihn dem Bücherwurm. Er nickte mehrmals vor sich hin, während er die Zeilen studierte. Schließlich legte er das Blatt auf den Tisch.
    »Das ist eindeutig Eleanors Handschrift«, sagte er. Eleanor war der Vorname von Larissas Mutter.
    Der Alte stützte den Kopf in die Hände und saß einige Minuten schweigend da. Als er sich wieder aufrichtete, glaubte ich, auch bei ihm Tränen in den Augen zu entdecken.
    »Zehn lange Jahre der Hoffnungslosigkeit. Zehn Jahre, in denen man sich abgefunden hat mit dem Gedanken, sie nie wiederzusehen.« Er stand auf und begann, in der Küche hin und her zu laufen. »Der Schmerz war schon fast ganz verschwunden, und dann kommt so ein Brief – und man merkt, dass der Schmerz immer da war, auch wenn man ihn nicht mehr wahrgenommen hat.«
    Er blieb hinter Larissa stehen und legte seine Hände auf ihre Schultern. Seine Stimme wurde heftiger. »Ich kann mit diesem Schmerz leben. Aber ich verfluche den, der dir diesen Brief gegeben hat und deine Wunden erneut aufreißt.«
    Larissa schluckte, bevor sie sprach. »Mir ist es lieber so, Opa. Ich hatte sie verloren, und jetzt habe ich sie wieder.«
    Der Alte seufzte. »Es wäre schön, wenn ich deinen Glauben hätte, Kind.«
    Sie blickte zu ihm hoch. »Was meinst du damit? Denkst du nicht, dass sie noch leben?«
    »Einiges spricht dafür, dass Eleanor und Martin noch am Leben sind. Zumindest zu dem Zeitpunkt, als dieser Brief geschrieben wurde. Allerdings wissen wir nicht, wann das war.«
    Der Bücherwurm begab sich auf gefährliches Terrain, das spürte ich. Natürlich hatte

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