02 Arthur und der Botschafter der Schatten
Bücherwurm.
Sie hatte sich mit dem Tod ihrer Eltern nie abfinden wollen, zumal die Leichen nie entdeckt worden waren. Das Unglück war irgendwo in jener arabischen Wüste geschehen, die Rub al-Khali, die »Große Leere« genannt wurde. Den Geländewagen ihrer Eltern hatte man ausgebrannt in einem vertrockneten Flussbett gefunden, zusammen mit ein paar Kleidungsfetzen. Die für das Gebiet zuständigen Behörden im Jemen vermuteten, dass sie die steile Böschung herabgestürzt waren und das Fahrzeug dabei Feuer gefangen hatte. Den Rest, so die offizielle Lesart, hätten anschließend die Aasgeier und Schakale übernommen.
Larissa hüpfte aufgeregt von einem Fuß auf den anderen. »Und?!«, fragte sie. »Was sagst du dazu?«
Ich wendete den Zettel hin und her, hielt ihn schräg gegen das Licht, hob ihn an meine Nase und schnupperte daran. Das sah für einen Zuschauer vielleicht gut aus, brachte mir aber keinerlei weitere Erkenntnisse – außer einem flauen Gefühl im Magen.
»Das gefällt mir nicht«, sagte ich.
»Was? Ich kann etwas über meine Eltern erfahren, und alles, was du dazu zu sagen hast, ist Das gefällt mir nicht ?«, protestierte Larissa, die sichtlich eine andere Reaktion erwartet hatte.
»Es ist ein anonymer Brief«, erklärte ich. »Warum sollte jemand, der es gut mit dir meint, seinen Namen nicht nennen und sich nachts mit dir treffen wollen?«
»Das ist mir egal!«, unterbrach mich Larissa. »Ich verstehe dich nicht! Du weißt, wie wichtig mir die Sache ist. Und alles, was du machst, ist ein finsteres Gesicht!« Sie verschränkte die Arme vor der Brust und starrte mich wütend an.
Ich gab ihr den Zettel zurück. »Das mit der Anonymität ist das eine. Aber was mir viel mehr Sorgen macht, ist: Wer könnte wissen, dass deine Eltern nach all den Jahren noch leben? Doch nur jemand, der mit ihrem Verschwinden zu tun hat, oder?«
»Das ist mir ebenfalls egal!« Larissa war ein Dickkopf, das hatte ich schon oft genug erfahren müssen. So leicht ließ sie sich nicht von ihrer Meinung abbringen. »Das Einzige, was für mich zählt, ist, dass dieser Unbekannte etwas über meine Eltern weiß.«
Ich trat den strategischen Rückzug an. »Wie wäre es, wenn wir zusammen hingehen?«, fragte ich. »Ist es eine Falle, so haben wir eine bessere Chance, uns zur Wehr zu setzen. Und falls nicht, kann es zumindest nicht schaden.«
Larissa sah mich prüfend an. Schließlich gab sie sich einen Ruck. »Einverstanden.«
Das war schon mal ein erster Schritt. Meine Bedenken hatten sich damit aber noch lange nicht erledigt. »Es gefällt mir nach wie vor nicht«, wiederholte ich. »Erst Pluribus, dann dieser Brief …«
»Pluribus? Pontus Pluribus? War er hier?«
Ich nickte. »Du hast ihn nur knapp verpasst.«
»Und was wollte er?«
»Er hat die ganze Zeit irgendwas von Schatten gefaselt. Die Schatten sind los , Sie kommen aus der Dunkelheit und solche Dinge.«
»Und wer sind diese Schatten? Hat er das erklärt?«
»Eben nicht. Er ist davon überzeugt, dass ich etwas damit zu tun habe und sowieso schon alles weiß.« Ich seufzte. »Schade, dass dein Großvater jetzt nicht hier ist. Er könnte uns bestimmt mehr dazu sagen.«
Kaum hatte ich die Worte ausgesprochen, schoss mir ein Gedanke durch den Kopf. »Vielleicht kann er auch mehr mit dem anonymen Brief anfangen als wir.«
»Auf keinen Fall.« Larissa sah mich streng an. »Wenn wir ihm davon erzählen, wird er uns nicht gehen lassen. Und ich werde heute Nacht im Stadtpark sein.« Sie fasste mich am Arm. »Du darfst ihm nichts sagen, Arthur. Versprich es mir!«
Ich hielt es zwar für besser, den Bücherwurm einzuweihen, kannte Larissa aber gut genug, um zu wissen, wann es sich lohnte, zu argumentieren, und wann nicht. Trotzdem unternahm ich noch einen letzten Versuch.
»Er könnte uns helfen, Larissa. Es wäre sicherer für uns beide, wenn er Bescheid weiß. Wir werden ihn schon überreden, uns gehen zu lassen.«
»Nein!« Ihre Augen funkelten wütend. »Kann ich mich nun auf dich verlassen oder nicht?«
Ich seufzte erneut. In diesem Zustand war mit ihr nicht zu reden. Ich hoffte, dass sie sich im Laufe des Tages beruhigen würde. Bis Mitternacht waren es ja noch ein paar Stunden.
»Also gut, ich verspreche es«, lenkte ich ein. »Aber hinterher erzählen wir ihm alles. Okay?«
Sie starrte mich einen Moment an. Dann nickte sie. »Okay.«
Damit war das Thema erledigt. Wir hatten inzwischen einige Übung darin, einen Streit zu beenden, bevor es richtig
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