02 Arthur und der Botschafter der Schatten
ernst wurde. Eine ziemlich sinnvolle Fähigkeit, wenn man viel Zeit miteinander verbringt. Schließlich wohnten wir fast ein Viertel des Jahres unter einem Dach, weil ich meine Schulferien stets beim Bücherwurm verbrachte.
In diesem Augenblick klingelte die Ladentür. Der Alte war von der Post zurück und betrat den Laden.
»Wenn man den Teufel nennt ...«, flüsterte Larissa und stopfte das Schreiben schnell in ihre Hosentasche.
»Sieh da, meine Lieblingsenkelin«, strahlte der Bücherwurm, als er Larissa erblickte. »Was führt dich denn hierher?«
»Och, ich war bloß in der Nähe und dachte mir, ich komme mal kurz vorbei«, antwortete sie mit Unschuldsmiene.
»Sehr schön.« Er zog ein großes Stofftaschentuch hervor und wischte sich damit den Schweiß von der Stirn. »Was haltet ihr davon, wenn wir uns ein Eis gönnen?«
»Gute Idee«, sagte ich.
»Keine Zeit«, sagte Larissa.
Das kam beides gleichzeitig heraus. Wir blickten uns an und mussten grinsen.
»Also, was nun?«, lächelte der Alte.
»Ich muss weg. Ich habe noch einiges zu erledigen heute Nachmittag.« Larissa warf mir einen vielsagenden Blick zu und drückte ihrem Großvater einen schnellen Kuss auf die Backe. »Tschüs, ihr zwei. Bis später.« Damit verließ sie den Laden.
Der Bücherwurm zuckte mit den Schultern. »Frauen«, sagte er und zwinkerte mir zu. »Und was ist mit dir, Arthur? Musst du auch gleich weg?«
»Nicht sofort«, antwortete ich. Allerdings hatte ich nicht vor, den gesamten Nachmittag hier zu verbringen, während Larissa Vorbereitungen für heute Nacht traf. »Ich würde gerne in einer Stunde gehen.«
»Kein Problem.« Der Alte marschierte durch den Laden zu seinem Büro, das hinter der Verkaufstheke lag. »War irgendwas Besonderes los in der Zeit, in der ich weg war?«
»Pluribus war hier«, sagte ich.
Der Bücherwurm hielt mitten im Schritt inne und drehte sich um.
»Hat er dich bedroht?«
Ich zuckte mit den Schultern. »Nicht wirklich. Er ist mir ein wenig auf die Pelle gerückt, das war alles.«
»Und was wollte er?«
»Keine Ahnung. Er erzählte dauernd etwas von irgendwelchen Schatten, die jemand geweckt hat.«
»Die Schatten?« Der Alte starrte mich einen Moment mit ungläubigem Blick an. Dann schüttelte er kurz den Kopf. »Typisch Pontus«, seufzte er. »Macht mal wieder die Pferde scheu.«
»Dann ist an dieser Schattensache also nichts dran?«, fragte ich.
»Schwer zu sagen. Ich hatte nur nicht erwartet, davon noch einmal zu hören.« Der Bücherwurm bedeutete mir, ihm zu folgen. Wir gingen in sein Büro hinter der Ladentheke. Es überraschte mich immer wieder, wie viel man in einen so winzigen Raum hineinpacken konnte. Nahezu jeder Quadratzentimeter war mit Büchern bedeckt, und zwar mit ganzen Stapeln davon. Dies waren die Schätze des Alten, seine große Leidenschaft. Von den meisten Werken in diesem Raum gab es nur noch einige wenige Exemplare auf der ganzen Welt.
Der Alte zog einen Schlüssel aus der Hosentasche und öffnete den Tresor, der unter dem winzigen Fenster stand. Er holte ein schmales Buch heraus, das die Abmessungen einer Postkarte besaß. De Umbris war in vergilbten Lettern auf dem Buchdeckel zu lesen. Dafür reichte mein Latein noch. Es bedeutete Über die Schatten .
»Alles, was wir über die Schatten wissen, steht in diesem Bändchen aus dem 18. Jahrhundert«, erklärte er. »Es ist damals in einer kleinen Auflage erschienen. Heute gibt es nur noch eine Handvoll Exemplare in der ganzen Welt. Niemand weiß, wer der Autor ist. Und ebenso wenig ist bekannt, ob das, was er geschrieben hat, der Wahrheit entspricht oder nur ein Produkt seiner Fantasie darstellt. Der Titel ist allerdings passend gewählt.«
» Umbra ? Das bedeutet doch Schatten, oder?«
»Nicht nur das. Zwei weitere Übersetzungen lauten Gespenst und Totengeist .« Vorsichtig schlug er das Buch auf. »Es heißt hier, dass die Bewohner jener Stadt in der Rub al-Khali, aus der angeblich die Vergessenen Bücher stammen, nicht gestorben sind. Sie haben lediglich eine andere Form angenommen. So ist es ihnen gelungen, nicht nur unermessliche Macht zu gewinnen, sondern auch das ewige Leben – sofern man ihren Zustand so bezeichnen kann. Sie stellen sich uns, glaubt man dieser Schrift, als eine Art Schattenwesen dar. Allerdings haben sie bei ihrer Wandlung nicht eingeplant, dass sie zur Ausübung ihrer neu erlangten Kräfte fortan die Hilfe von Menschen benötigen.«
Er schaute mich an. »Mit einem hatten sie nämlich
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