02 Arthur und der Botschafter der Schatten
man mit jemandem darüber spricht. Man kann sich leicht in etwas verrennen, wenn man alles nur mit sich selbst ausmacht.«
»Du meinst also, ich brauche deine Hilfe?« Sie war noch immer ruhig. Zu ruhig, wie ich fand. Aber zumindest explodierte sie nicht sofort. Das nahm ich erst mal als ein gutes Zeichen.
»Das kannst nur du entscheiden. Ich wollte eigentlich nur sagen, dass ich da bin, wenn du mal reden willst.«
Wieder schwieg sie einige Sekunden und starrte aufs Meer hinaus.
»Weißt du«, sagte sie schließlich, »es gibt Situationen, durch die kann man nur alleine durch. Ganz einfach deshalb, weil niemand verstehen kann, was in einem vorgeht.«
Ich glaubte zu wissen, wovon sie sprach. Dieses Gefühl der Einsamkeit hatte ich in Amsterdam ebenfalls gehabt. Und trotzdem hatte es mir geholfen, sie an meiner Seite zu haben und ihre Meinung zu hören. Ich entschloss mich, etwas weiter auszuholen.
»Im Philosophieunterricht haben wir mal über Philosophen gesprochen, die genau das sagen: Letzten Endes ist jeder Mensch allein und muss mit einem Gefühl der Einsamkeit leben. Das heißt aber nicht, dass wir einander nicht helfen können. Wir können uns zuhören, uns gegenseitig den Spiegel vorhalten und gemeinsame Erfahrungen machen.«
Ich hatte die Worte kaum ausgesprochen, da merkte ich bereits, dass ich einen Fehler gemacht hatte. Larissas Gesicht verfinsterte sich zunehmend.
»Danke für den Vortrag«, kommentierte sie sarkastisch. »Das mag in deinen Büchern und in der Theorie so sein. Aber die Praxis sieht völlig anders aus. Das würdest du auch merken, wenn du deine Augen mal wirklich öffnen würdest. Ich habe dich nicht um deine Hilfe gebeten. Du begleitest mich, weil du das willst. Aber das bedeutet nicht, dass du ein Anrecht auf meine Gedanken hast.«
»Das behaupte ich auch gar nicht«, protestierte ich. »Ich wollte nur sagen ...«
Weiter kam ich nicht. Larissa sprang auf. Ihre Augen blitzten, und sie ließ die Zurückhaltung, die sie sich offenbar zuvor mühsam auferlegt hatte, fallen.
»Ich weiß, was du willst!«, rief sie. » Gemeinsame Erfahrungen machen – pah! Das bedeutet doch nichts anderes, als dass ich die Dinge so sehen soll wie du! Und Trost brauche ich auch nicht! Ich bin alt genug, um allein mit der Situation zurechtzukommen, falls du das noch nicht bemerkt haben solltest!«
Mit diesen Worten stürmte sie davon. Zitternd vor hilfloser Wut sprang ich ebenfalls auf und versetzte dem Liegestuhl einen kräftigen Fußtritt. »Bleib hier!«, brüllte ich ihr hinterher, aber sie drehte sich nicht einmal um, sondern verschwand im Deckhaus.
Zornig rannte ich auf dem Deck herum. Da wollte ich ihr eine Brücke bauen, und sie verdrehte mir die Worte im Mund! Was bildete sie sich eigentlich ein? Ihr ging es schlecht, okay, aber das gab ihr nicht das Recht, nach Belieben auf mich einzuschlagen! Das war das letzte Mal, dass ich so mit mir reden ließ!
Nach ein paar Minuten hatte ich mich wieder einigermaßen beruhigt. An eine entspannte Siesta im Liegestuhl war jetzt allerdings nicht mehr zu denken. Ich lehnte mich an die Reling und starrte aufs Meer hinaus.
Plötzlich bemerkte ich Kokou nicht weit von mir an der Reling. Er hatte seine Arme aufs Geländer gelegt und betrachtete ebenfalls das Kielwasser, das sich wie ein weißer Strich über die blaue Fläche zog. Eine Weile sagte keiner von uns ein Wort. Dann brach er das Schweigen.
»Eins ’abe isch vor vielen Jahren gelernt: Frauen ticken anders als wir Männer. Das müssen wir akzeptieren, wenn wir mit ihnen zurechtkommen wollen.«
Ich sah ihn von der Seite an. Sein Blick war nach wie vor aufs Meer gerichtet. »Du meinst Larissa?«
Er nickte. »Isch ’abe eure Auseinandersetzung mitbekommen. Du bist sauer, das verstehe isch. Aber deiner Freundin geht es noch schlechter. Sie leidet.«
»Ich leide auch«, erwiderte ich trotzig. »Nur scheint das niemanden zu interessieren.«
Kokou kam auf mich zu und strich mir in einer ironischen Geste mit der Hand über den Kopf. »Soll isch disch bedauern?«, grinste er.
Ich schüttelte ihn verärgert ab. »Mach dich nur lustig über mich!«
Er wurde wieder ernst. »Jeder hat ein Anrecht auf Selbstmitleid. Du solltest disch nur nischt zu bequem darin einrichten.«
»Ich habe das Gefühl, dass auf dieser Reise nur Larissa zählt«, seufzte ich. »Es gibt kein Gleichgewicht zwischen ihr und mir. Das ist kein Selbstmitleid, sondern Realität.«
»Du magst sie sehr, nischt?«, fragte er
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