02 - Aus Liebe zu meiner Tochter
sofort, wie dringend nötig ein Buch war, das der Weltöffentlichkeit das ganze Ausmaß dieses wirklich globalen Problems vor Augen führte. Mein neues Vorhaben wurde von Arnie Dunchock nachhaltig unterstützt, der an dem Thema internationaler elterlicher Kindesentführungen bereits lebhaftes Interesse gezeigt hatte. Auch ihm war bewußt, daß dies ein Thema war, über das zu schreiben sich lohnte, und er wollte seinen Teil beisteuern. In den folgenden drei Jahren sollte er zahllose Stunden darauf verwenden, dieses Buch Realität werden zu lassen.
Ich wußte aus eigener Erfahrung, wie sehr Arnie sich engagieren konnte, wenn ihm ein Vorhaben am Herzen lag. Mit seiner Erlaubnis durfte ich ihm über die Schulter schauen, als er den Fall eines Amerikaners mexikanischer Herkunft namens Frank Garcia recherchierte, der nach Ar-nies Überzeugung zu Unrecht wegen Totschlags verurteilt und inhaftiert worden war. Je mehr ich in diesen Fall eindrang, desto fesselnder fand ich ihn. Ich empfand eine starke Bindung zu Frank, denn ich wußte, was es heißt, zu Unrecht seiner Freiheit beraubt zu werden.
Außerdem bewunderte ich den unermüdlichen (und unbezahlten) Einsatz, mit dem Arnie auf eine Berufung hinar-270
beitete. Im November 1988 ging der Prozeß in die zweite Runde.
Im Jahre 1990, zwei Jahre nach meiner ersten Begegnung mit den Müttern von Algier, reisten Mahtab und ich in Begleitung von Arme und dessen Schwester Joan nach Paris, um sie wiederzutreffen. Wir waren überzeugt, daß ihre Geschichte ein wichtiger Teil des neuen Buches sein würde.
Kurz vor unserem Aufbruch nach Paris kam Mahtab mit einem Vorschlag zu mir: »Wenn du dort arbeiten willst, könnte ich doch Französisch lernen.« Ein ziemlich ehrgeiziges Vorhaben für ein zehnjähriges Mädchen, das Sommerferien hat. Antoine Audouard, mein französischer Lektor, besorgte für Mahtab und Joan einen Lehrer, der Anfänger in Französisch als Fremdsprache unterrichtet.
Mein Literaturagent Michael Carlisle war mit einem Schauspieler befreundet, der sich bereit erklärte, uns seine Pariser Wohnung für die Zeit zu überlassen, in der er anderswo einen Film drehte. Das war ein Glücksfall für meine Tochter und mich. Wir waren schon viermal nach Paris gereist, hatten aber jedesmal im Hotel gewohnt, und immer hatte uns mein französischer Verleger Fixot einen Chauffeur gestellt. Diesmal wollten wir Paris von innen her kennenlernen. Wir wollten die Stadt mit der Metro erkunden -eine ganz neue Erfahrung für zwei Menschen aus Michigan, wo alle Welt Auto fährt.
Bei unserer Ankunft in Paris an einem Sonntagabend hatten wir keinen Stadtplan, aber Mahtab fand das nicht weiter schlimm. »Du brauchst mich morgen früh nur zum Hotel Balzac zu bringen«, sagte sie. »Der Mann an der Rezeption spricht Englisch und gibt uns bestimmt einen Stadtplan.«
»Weißt du denn, wie man ins Hotel Balzac kommt?« fragte Joan.
»Wenn ihr mich zur Champs-Elysees bringt«, erwiderte Mahtab, »finde ich schon hin.« Von da ab wurden Joan und
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Mahtab ein tolles Gespann. Sie sahen in diesen zwei Wochen mehr von Paris als ich während meiner sechs Reisen dorthin. Unterdessen trafen Arnie und ich mit den Menschen zusammen, die mich so inspirierten wie kaum jemand zuvor: den Müttern von Algier.
Als Amar und Farid Houache im August 1980 ihr Zuhause in Frankreich verließen, um die Familie ihres Vaters in Algerien zu besuchen, freuten sie sich auf das Abenteuer. Die beiden kräftigen Jungen waren schon 1976 in Ghardaia gewesen, einer im nördlichen Zentral-Algerien gelegenen Stadt, rund 400 Kilometer von Algier entfernt. Bei ihrer ersten Reise war ihnen ein wenig bange gewesen, doch nun waren sie älter -Amar war dreizehn, Farid fast zwölf Jahre alt -, und sie wußten, was sie erwartete. Sie freuten sich auf ihre Großeltern und die anderen Verwandten, vor allem aber auf die vielen Cousins, mit denen sie vier Jahre zuvor gespielt hatten.
Im übrigen würde ihr Vater dabeisein, dem sie vertrauten und den sie verehrten. Bis zum Beginn des neuen Schuljahres in ein paar Wochen würden sie wieder daheim sein.
Im September eröffnete Brahim Houache seinen Söhnen, er sei »krank« und sie müßten ihre Rückkehr nach Frankreich verschieben. Amar und Farid waren froh über die Verlängerung ihrer Ferien. Doch die Tage vergingen, und sie wunderten sich allmählich darüber, daß ihr Vater keine Krankheitssymptome zeigte. Brahim meldete sie für die Zeit seiner »Genesung« in einer
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