02 - Aus Liebe zu meiner Tochter
offen, weil sie kein Mißfallen erregen will. Wenn meine Mutter sie fragt, ob sie Moody vermisse (was unzweifelhaft der Fall ist, obwohl Moody sie so oft verraten hat), antwortet Mahtab: »Überhaupt nicht.« Vor meiner Familie muß sie ihre wahren Gefühle verbergen; aufgrund des Vorurteils meiner Angehörigen ist sie innerlich gespalten.
Auf die Frage eines schwedischen Journalisten, ob sie ihren Daddy gern Wiedersehen würde, erwiderte Mahtab:
»Ja, ich würde ihn gern besuchen, aber im Gefängnis, damit er mir nicht weh tun kann.« Es lag kein Groll in ihrer Bemerkung, keine Rachsucht. Es war die Antwort eines kleinen Mädchens, das sich nach seinem Vater sehnt und zugleich nach Sicherheit - Mahtab s unerfüllbarer Traum.
Genau elf Tage nach der Premiere unseres Films und fünf Tage nachdem der Film in den Kinos angelaufen war, begannen die USA und ihre Verbündeten, den Irak zu bombardieren. Als im Fernsehen der grelle Schein des Flakfeuers aufleuchtete, blickte Mahtab mich nervös an. »Ich glaube, wir sollten das Licht ausmachen und hinuntergehen«, sagte sie. In den folgenden zwei Wochen saß sie jeden Abend bis 23 Uhr wie gebannt vor dem Bildschirm und verfolgte die Sendungen der Gable Network News. Sie verzichtete dafür sogar auf ihre Lieblingsshows.
Für viele Amerikaner war der Golfkrieg ein hochtechnisiertes, abstraktes Geschehen, ein steriles Computerspiel.
Mahtab wußte, was sich hinter den Tabellen und Szenarios verbarg; sie hatte das Gemetzel an der Front aus der Nähe
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gesehen. Sie glaubte nicht, daß der Krieg sich nicht ausweiten konnte oder daß wir zu weit weg waren, um etwas davon abzubekommen. Ihr Vater hatte uns erklärt, die irakischen Bomben könnten Teheran nicht erreichen, aber das war ein Irrtum gewesen. Wie konnte ich sie überzeugen, daß wir diesmal sicher waren?
Mahtabs Erinnerungen an die irakischen Luftangriffe lebten mit aller Deutlichkeit wieder auf. Gemeinsam dachten wir an die schreckliche Zeit, als wir Flugzeuge, Schreie und Sirenen hörten und die Luft nach Pulverdampf und verbranntem Fleisch roch. Wir hatten großes Mitleid mit denen, die unter diesem neuen Krieg zu leiden hatten.
Mahtab sorgte sich vor allem um unsere Bekannten im Iran; am meisten aber fürchtete sie, ihr Vater könne verwundet werden. Ich versuchte, Mahtab zu beruhigen, aber zugleich erfüllte mich ihre Angst um ihren Vater mit Zuversicht. Sie zeigte, wie weit sie schon dabei fortgeschritten war, das schmerzlichste Problem ihres jungen Lebens zu lö-
sen.
Mahtab und ich hatten vom Moment ihrer Geburt an eine sehr enge Beziehung. An dem Tag, an dem Moody erklärte, wir könnten nicht nach Amerika zurückkehren, wuchsen meine Tochter und ich noch enger zusammen.
In den folgenden anderthalb Jahren waren wir Partner, die einander vollkommen vertrauten, und unser Verhältnis ist heute noch genauso herzlich.
Jeder Tag mit Mahtab ist kostbar. Trotz meines vollen Terminkalenders lege ich meine Reisen so, daß ich Mahtab möglichst oft mitnehmen kann. Jeden Abend freue ich mich darauf, sie ins Bett zu bringen und mit ihr zu beten: »Lieber Gott, wir danken Dir, daß wir Zusammensein können und daß wir frei sind.«
Die Trennungen sind immer schwer - für mich vielleicht
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noch schwerer als für Mahtab. Sie hat eine »große Schwester« namens Lori, die in meiner Abwesenheit bei ihr bleibt. Als ich sie einmal aus Deutschland anrief und sagte, ich würde bereits am nächsten Tag zurückkehren -
drei Tage früher als geplant -, fragte sie: »Warum kommst du früher zurück?« Da wußte ich, daß es ihr gutging.
Ich werde ständig gefragt: »Haben Sie keine Angst, Moody könnte zurückkommen, um Mahtab zu holen?« Ich antworte dann, daß ich immer Angst habe. Mahtab und ich haben den Iran vor über 2000 Tagen verlassen, und Keiner dieser Tage ist ohne außergewöhnliche Vorsichtsmaßnahmen vergangen; einige dieser Maßnahmen liegen auf der Hand, andere weniger.
Mahtab hat nicht die Privilegien, die für die meisten Mädchen ihres Alters selbstverständlich sind. Sie darf weder allein radfahren noch auf der Straße Spazierengehen. Und sie hat gelernt, stets auf der Hut zu sein.
Schweren Herzens habe ich ihr in den letzten beiden Jahren erlaubt, im Sommer zelten zu gehen. Aber ich hatte deswegen ein sehr schlechtes Gewissen, denn schließlich ist es albern, bei uns zu Hause so vorsichtig zu sein und Mahtab dann für ein oder zwei Tage ganz ohne Aufsicht zu lassen. Inzwischen will sie noch mehr:
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