02 - Aus Liebe zu meiner Tochter
Zum erstenmal fragt sie, wann sie wieder allein zur Schule gehen kann. Ich bin noch nicht so weit, aber ich weiß, daß ich sie nicht ewig beschützen kann. Mahtab beklagt sich schon: »Immer muß jemand auf mich aufpassen. Ich wünschte, ich wäre wie andere Kinder.« Das ist eigentlich ein kleiner, verständlicher Wunsch. Aber seine Erfüllung ist deshalb so schwer, weil Moody vor unserer Flucht aus dem Iran mehr als einmal geschworen hat, er werde Mahtab zurückholen und mich umbringen.
Trotz ihrer Ungeduld ist sich Mahtab der fortwährenden Gefahr bewußt. Einmal sahen wir in 20/20, wie eine Mutter
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ihre Kinder zurückholte, die der Vater zu irgendeiner Sekte gebracht hatte. Ich fragte Mahtab nach ihrer Meinung. »Wenn ich entführt würde«, erklärte Mahtab sehr ernst, »würde ich erwarten, daß du kommst und mich holst.«
Von einigen Entführungsfällen war Mahtab tief berührt. In einem Zeitungsinterview erklärte sie: »Ich bin stolz auf meine Mom, weil sie anderen Kindern hilft.«
Wenn ich meine Tochter heranwachsen sehe, muß ich daran denken, was Moody alles versäumt und in den kommenden Jahren noch versäumen wird. Ich allein weiß, was er verloren hat, und ich kenne die Macht von Mahtabs Vertrauen und Liebe. Wie bei jedem Menschen gibt es auch bei mir Momente, in denen ich an mir und meinen Entscheidungen zweifle. Glücklicherweise ist meine Tochter immer da, um mir zu helfen. Zum Muttertag 1989 bekam ich von Mahtab, die damals in die zweite Klasse ging, eine besonders schöne Anerkennung. Sie schrieb:
»Liebe Mom,
Du bist die beste Mom der ganzen Welt! Ich liebe Dich so sehr, Mom, daß ich, wenn ich unter allen Müttern der Welt wählen könnte, Dich wählen würde. Du hast so viel für mich getan, daß ich es gar nicht alles aufzählen kann. Mom, es ist mir egal, ob Du zwei oder hundertundzwei bist, ich liebe Dich trotzdem. Ich würde nichts an Dir ändern. So wie Du bist, bist Du perfekt. Ich weiß nicht, was ich ohne Dich machen würde, Mom, Du bedeutest mir soviel. Ich liebe Dich, Mom!!!
In Liebe, Mahtab.«
wie mein Vater erwartet auch Mahtab ständig von mir, daß ich mich durchsetze. »Mommy«, sagte sie im Iran immer wieder, »überlege, wie wir nach Amerika zurück können.«
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Sie ließ nicht zu, daß ich aufgab. Als es darum ging, alles zu riskieren, und wir mit Schmugglern, deren Absichten wir nicht kannten, die unwegsamen Berge durchquerten, bewies Mahtab ungewöhnlich viel Mut.
Wie man sieht, hat der Titel Nicht ohne meine Tochter noch eine andere Bedeutung: Theoretisch hätte ich schon früher aus dem Iran fliehen können, wenn ich bereit gewesen wäre, das Land ohne Mahtab zu verlassen - ein Weg, den viele andere in meiner Situation schweren Herzens gewählt haben.
Ich bin jedoch überzeugt, daß ich heute im Iran begraben läge, wenn Mahtab nicht gewesen wäre. Sie hielt mich aufrecht. Ich erinnere mich, wie ich nach ein paar Monaten im Iran einen Bleistift zur Hand nahm und zu schreiben versuchte. Ich war durch die Ruhr und durch meine Verzweiflung derart geschwächt, daß ich nicht einmal einen Brief schreiben konnte. Damals war ich sicher, daß ich sterben würde. Ich glaubte es wirklich. Aber wenn ich starb, würde Mahtab im Iran festsitzen. An jenem Tag sagte ich zu Moody: »Ich werde hierbleiben und tun, was du willst. Ich will hier leben.« Kurz darauf war ich wieder gesund. An jenem Tag wurde aus mir eine Überlebende.
Seit meiner Flucht aus dem Iran habe ich Moody nicht mehr gesehen . . ., und doch bin ich seiner Gegenwart und dem unauslöschlichen Einfluß, den er auf mein Leben hat, nicht entronnen.
Es war der 27. Dezember 1990. Mahtab hatte Weihnachtsferien und war bei ihrer Großmutter. Ich war allein zu Hause. Nach einem anstrengenden Tag, der mit Öffentlichkeitsarbeit und anderen Vorbereitungen für die Filmpremiere ausgefüllt war, sank ich ins Bett und schlief sofort ein. Dann wachte ich plötzlich schreiend auf.
Moody stand neben dem Bett, beugte sich über mich, seine Hände glitten 360
über meinen Hals, seine Lippen öffneten sich zu einem schwachen Lächeln der Vergeltung ....
Ich wachte auf, zitternd und ängstlich, schweißgebadet, mit klopfendem Herzen. Die Vision war so echt gewesen, viel lebendiger, als ein Traum sein durfte. War es ein böses Omen? Ich konnte den Traum nicht vergessen. Ich war froh, daß Moody seine Drohung, wieder in unser Leben zu treten und es zu zerstören, bisher nicht wahrgemacht hatte. Ich fragte mich, wie
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