02 - Aus Liebe zu meiner Tochter
Beziehung zwischen Eltern und Kind und dem extremen Verhalten, das Menschen zeigen, wenn diese Bezie-336
hung bedroht ist. Aber für die emotionale und dramatische Wirkung des Buches ist noch etwas anderes verantwortlich: das Interesse am Alltäglichen. Von Anfang an, noch bevor ich erkannte, daß ich im Iran gefangen war, wollte ich der Welt zeigen, wie die Menschen dort leben, wie sie einkaufen und Reis zubereiten, wie sie ihr Geschirr und ihre Wäsche waschen, ja wie sie die Toilette benutzen. Unabhängig von unserer sozialen Stellung haben wir alle einen Alltag und ein natürliches Interesse am Alltag anderer.
Obwohl Nicht ohne meine Tochter die Geschichte einer fest in der Mitte der Vereinigten Staaten verwurzelten Amerikanerin ist, könnten sich die geschilderten Ereignisse auch anderswo abspielen. Und sie haben sich bereits andernorts abgespielt. Vor allem in Westeuropa hat die jüngste Einwanderungswelle zu einem großen Anstieg der Zahl von gemischtnationalen Ehen und von Kindern gemischter ethnischer Zugehörigkeit geführt. Franzosen und Algerier, Deutsche und Türken, Belgier und Marokkaner, sie alle leben und arbeiten heute Seite an Seite. Sie haben ganz unterschiedliche Auffassungen von der Rolle und den Pflichten der Familie - Auffassungen, die vielleicht erst nach der Geburt eines Kindes zutage treten.
Selbst als uns klar wurde, daß Nicht ohne meine Tochter viele Menschen ansprechen würde, ahnten wir nicht, daß meine Geschichte die ganze Welt erobern sollte.
Ich war nicht nur auf schriftstellerischem Gebiet eine Anfängerin, sondern auch als Rednerin. Noch ehe ich Angst bekommen konnte, weil ich so vieles nicht wußte, was ich eigentlich hätte wissen sollen, bekam ich eine wichtige Einladung vom Beverly Hills Country Club. Wie sich jedoch herausstellte, verspürte ich von Anfang an keine Scheu vor dem Publikum; ich sagte mir immer, daß ich selbst meine Geschichte schließlich am besten kannte.
Nach der Veröffentlichung des Buches wurde ich von
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zahlreichen Gruppen zu Vorträgen eingeladen. Weitere Organisationen folgten diesem Beispiel, und seitdem ist mein Terminkalender voll. Ich habe vor großen und kleinen Gruppen gesprochen, aber das denkwürdigste Ereignis war die Verleihung des American Freedom Award am 4. Juli 1991 in Provo, Utah, an Mahtab und mich. Mahtab (die bisher jüngste Preisträgerin) und ich teilten uns die internationale Ehrung mit Teddy Kollek, dem langjährigen Bürgermeister von Jerusalem, und Nathaniel Howell, dem amerikanischen Botschafter in Kuwait, der nach der irakischen Invasion sein Leben riskiert hatte, um bei seinen Mitarbeitern bleiben zu können. Für mich war das Ereignis auch deshalb besonders denkwürdig, weil ich gebeten wurde, an Stelle von Margaret Thatcher, die kurzfristig abgesagt hatte, vor mehr als 20 000 Menschen im Stadion der Brig-ham Young University die Festrede zu halten. Trotz der Größe des Publikums habe ich mich mit meinen Zuhörern selten so verbunden gefühlt.
Nach dem offiziellen Teil gingen Mahtab und ich zu einem Empfang im Haus von Alan Osmond, dessen Söhne
-die Four Osmond Boys - uns das Lied Danny Boy vortrugen. Zum krönenden Abschluß des Festes wurde ich zur Luftfahrerin und stieg mit einem Heißluftballon auf. Nach der Ballonfahrt über Provo forderten mich meine Gastgeber auf, ein ungewöhnliches Ritual zu vollziehen. Um offizielle Luftfahrerin zu werden, mußte ich mich mit den Armen auf dem Rücken hinknien, nach vorn beugen, mit den Zähnen ein Glas »Champagner«
aufnehmen und es austrinken, ohne einen Tropfen zu verschütten. Ich bestand die Prüfung glänzend und wußte, daß meine nächste Landung glatt verlaufen würde.
Meine Vortragsreisen sind manchmal sehr zermürbend, aber die anschließenden Diskussionen ermutigen mich stets, weiterzumachen. Mit der Geschichte meiner Mißhandlung 338
stieß ich im Ausland auf großes Interesse. Viele, die ähnliches erduldet, aber bislang geschwiegen hatten, meldeten sich zu Wort, wenn sie mir zuhörten. Sie hatten schon lange darauf gewartet, ihre eigene Geschichte erzählen zu können, aber sie trauten sich erst, nachdem ich gesprochen hatte.
Viele meiner Zuhörer sind Opfer einer gescheiterten Beziehung, ob nun gemischtnational oder nicht. Nach einem meiner ersten Vorträge erzählte mir eine attraktive, gutgekleidete Dame: »Ich bin Amerikanerin, mit einem Amerikaner verheiratet und lebe in Amerika . . ., und Sie haben meine Geschichte geschrieben. Ich war eine
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