02 - Aus Liebe zu meiner Tochter
Sie würde das Problem verdrängen und hoffen, daß es sich von selbst löste. Sie sagte: »Majid wird zwar immer brutaler, und wir haben viele Probleme, aber ich werde mich nicht von ihm scheiden lassen, bevor Sabrina volljährig ist. Eine Scheidung würde ihn nur wütend machen, und er würde mir meine Tochter wegnehmen.«
»Glauben Sie mir, ich kann Sie verstehen«, antwortete ich. »Wenn ich nicht mit in den Iran gegangen wäre, hätte Moody mir Mahtab weggenommen. Ich hätte nichts dagegen tun können. Selbst jetzt sind wir noch nicht sicher vor ihm. Wir müssen mit der Angst leben, daß er zurückkommt und sie holt.« Ich entschuldigte mich, daß ich ihr nichts Ermutigenderes sagen konnte, und bot ihr an, daß sie mich in Zukunft über meinen Verlag St. Martin's Press erreichen könne, falls sie meine Hilfe brauchte.
Ich war fünf Wochen auf Vortragsreise gewesen und konnte die verschiedenen Flughäfen und Hotelzimmer nicht mehr auseinanderhalten. Ich verließ Tucson am Samstagmorgen um fünf, wurde jedoch wegen einer Verspätung in Chicago aufgehalten. Als ich um sieben Uhr abends zu Hause ankam, konnte ich es kaum erwarten, mich ins Bett zu legen und zu schlafen.
In dem Augenblick, als ich die Tür öffnete, hörte ich
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plötzlich aus allen Richtungen Sirenen von Krankenwagen und Polizeiautos. Wenige Minuten später kam Joe durch die Tür und sagte: »Mom! Auf der Autobahn war ein schrecklicher Unfall. Sie haben alles abgesperrt, und ich mußte einen Umweg fahren, um in die Stadt zu kommen.«
Joe duschte und verschwand dann wieder. Ich wollte gerade ins Bett gehen, als Jan und Gale, unsere Nachbarn und gute Freunde, an der Tür klingelten. Ich wußte, daß etwas passiert war, als Jan mich in das Zimmer schob, das ich als Büro benutzte. »John hat einen Unfall gehabt«, sagte sie. »Er liegt im Krankenhaus.« Ich rannte zu ihrem Wagen und fuhr in dunkelster Nacht fünf endlose Häuserblocks entlang bis zum Krankenhaus.
Was mich auf der Unfallstation erwartete, hätte ich mir schlimmer nicht vorstellen können. Vernichtet stand ich vor dem zerquetschten Körper meines Sohnes. John steckte in einem Stützkorsett zum Schutz des Rückenmarks für den Fall, daß das Genick oder das Rückgrat gebrochen war. Er war noch nicht geröntgt worden, aber er hatte mehrere Brüche, soviel war klar, denn ich konnte gebrochene Knochen sehen, die sich durch die Haut gebohrt hatten.
Johns Gesicht war von Glasscherben völlig zerschnitten. Ein Freund von ihm stand neben ihm und hielt sich ein Handtuch an den Kopf. Ich sollte gleich herausfinden, warum: Seine Kopfhaut war kurz über dem Haaransatz durchschnitten; ohne das Handtuch hätte sie sich vom Schädel gelöst.
Später erfuhr ich, daß Johns Plymouth mit einem Wohn-zusammengestoßen war. John war zwischen Tür und seines Wagens eingeklemmt worden und mußte von der Feuerwehr mit dem Schweißbrenner befreit werden, Seine Hüfte war zerquetscht, das linke Bein zweimal gebrochen. Beide Arme waren gebrochen, und die linke Schulter einen Schnitt bis auf den Knochen auf. So schlimm
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alles auch war, John hatte noch Glück gehabt, daß er den Unfall überhaupt überlebte.
Da kein Unfallchirurg Dienst hatte, mußte John ins Krankenhaus von Carson City gebracht werden. Diese Klinik kannte ich am besten, und ich vertraute den Ärzten. Hier hatte ich als Patientin Moody kennengelernt, und hier war Dad so fürsorglich gepflegt worden.
Die Fahrt im Krankenwagen - die erste von so vielen in jenem Jahr - war eine Tortur. Ich saß vorne und bat den Fahrer immer wieder, er solle schneller fahren. Jede Unebenheit auf der Straße ließ John vor Schmerzen stöhnen.
Dr. Roger Morris, unser Hausarzt und langjähriger Freund, erwartete uns auf der Unfallstation. Er begann, Johns Schnittwunden zu nähen, und währenddessen kam ein Spezialist nach dem anderen ins Zimmer: ein Internist, ein Unfallchirurg und ein Kardiologe. Trotz ihrer Anstrengungen verschlechterte sich Johns Zustand. Sein Gesicht wurde grau, sein Atem ging schwer - beides Zeichen von Herzversagen. Die Ärzte befürchteten einen Nierenschaden und andere innere Verletzungen.
Binnen weniger Stunden entschieden die Ärzte, daß John in die Universitätsklinik von Michigan in Ann Arbor geflogen werden müsse, eines der größten Traumazentren Amerikas. Als sie meinen Sohn von seinem Bett auf eine Trage umbetteten, um ihn zu einem in der Nähe wartenden Hubschrauber zu bringen, stieß er markerschütternde Schreie aus
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