02 - Aus Liebe zu meiner Tochter
Tod ihres Vaters wünschte? Ich beschloß sofort, diesem Wunsch systematisch entgegenzuwirken.
Noch am selben Abend zog ich zu Hause Fotoalben aus dem Schrank, die Bilder aus glücklicheren Familientagen zeigten. Ich erinnerte Mahtab daran, wieviel Spaß wir in Michigan mit Daddy gehabt hatten und wie wir an Wochenenden immer zum Frühstücken und Schwimmen und zu Saunabesuchen in ein nahe gelegenes Sheraton gefahren waren. Ich erzählte ihr, daß ich es nie bereut hätte, ihren Daddy geheiratet zu haben, daß er ein liebevoller Ehemann und Vater gewesen sei und ein kompetenter Arzt, der sich sehr um seine Patienten sorgte. Besonders herzlich sei Moody zu meinem Vater gewesen. Er habe Dad geholfen, nach einer Kolostomie eine schwere Depression zu überwinden und um sein Leben zu kämpfen. Ich sagte, über den Problemen, die wir im Iran gehabt hätten, dürften wir nicht Vergessen, daß es auch schöne Zeiten gegeben habe.
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Während der nächsten Wochen unterhielten wir uns regelmäßig über dieses Thema. »Mahtab, Daddy hat bald Geburtstag«, sagte ich bei einer Gelegenheit. »Ich wette, er denkt gerade an dich. Sicher vermißt er dich sehr.
Weißt du, es ist ganz normal, wenn du ihn vermißt. Wenn ich noch irgendwo auf der Welt einen Daddy hätte, würde ich ihn auch vermissen.« Ich mußte meiner Tochter die Erlaubnis geben, etwas für den Menschen zu fühlen, der uns beiden so nahegestanden hatte.
Ungefähr um diese Zeit sichtete ich Moodys Büromaterial, das immer noch verpackt gewesen war. Ich fand einige eingetrocknete Filzstifte und warf sie weg. Ein paar Tage später entdeckte ich die Stifte in der Schublade von Mahtabs Schrank. Sie hatte sie heimlich aus dem Müll geholt, und sie bewahrt sie heute noch auf, als wolle sie damit an ihrem Vater festhalten.
Zwei Monate nach dem Flugzeugabsturz im Iran kam Mahtab von der Schule heim und sagte: »Mommy, wenn ich heute abend bete, bitte ich den lieben Gott darum, daß er alle Menschen auf der Erde beschützt, auch unsere Feinde.« Von diesem Abend an schloß sie ihren Daddy in ihre Gebete mit ein. Die Wunden heilen, dachte ich dankbar. Mahtab wurde wie ich ein freier Mensch.
Aber Narben blieben trotzdem. Mahtab fürchtete sich weiterhin vor ihrem Vater, obwohl sie sich daran erinnerte, ihn einmal geliebt zu haben. Moody würde für sie immer mit unserer Zeit im Iran verbunden sein - und mit dem, was wir durch ihn gelitten hatten. Mehr als einmal sagte meine Tochter zu mir: »Ich will Teheran nie Wiedersehen.«
Feindbilder können das Bewußtsein eines Kindes von seiner Identität beeinträchtigen. Ich wollte immer, daß Mahtab stolz darauf ist, zur Hälfte Iranerin zu sein, und daß sie mehr über ihre Herkunft erfährt. Im März 1987, dem zweiten Frühjahr nach unserer Rückkehr nach Michigan> 50
feierten wir Nauruz, das persische Neujahr. Wir zogen unsere schönsten Kleider an und schmückten den Tisch mit den Haft sin, den sieben symbolischen Speisen, die alle mit dem Buchstaben S anfangen.
Zusammen warteten wir auf den Augenblick des Frühlingsanfangs, in dem die Sonne in das Sternbild des Widders eintritt und die Erde sich persischer Sage zufolge von einem Horn des Widders auf das andere verlagert.
In diesem Augenblick umarmten wir uns und wünschten einander ein gutes neues Jahr. Dann ging ich kurz hinaus und kam mit einem glänzenden, neuen, violetten Fahrrad zurück.
Nach dem zwei Wochen dauernden Fest erinnerte ich Mahtab, daß es an der Zeit sei, »alle schlechten Erinnerungen einzusammeln und wegzuwerfen, wie man Sabzi [frisches Grünzeug] in den Fluß wirft, und das neue Jahr ohne Feinde und mit freundlichen Gefühlen für jedermann zu beginnen«.
Wann immer wir in eine Stadt kommen, in der es iranische Restaurants geben könnte, schlagen wir in den Gelben Seiten nach, und wenn wir eines finden, suchen wir es möglichst auf. Besonders gern mag Mahtab Jujeh (Huhn), Ke-bab mit Zereshke pollo (Reis mit Berberitzen), eine Osh genannte Gemüsesuppe und Ghormeh sabzi, kleingeschnittenes Gemüse, das zusammen mit in Würfel geschnittenem Lammfleisch, Bohnen, Zwiebeln und getrockneter Limo-nelle gedünstet wird. Wenn wir orientalische Läden besuchen, sucht sich Mahtab Musikkassetten und Bücher mit Geschichten in Farsi aus. Meine Tochter war zweisprachig, als wir den Iran verließen, aber nach unserer Rückkehr nach Michigan wollte sie als erstes ihr Farsi vergessen. »Ich will nie mehr Khomeinis Sprache hören«, sagte sie.
Die Zeit verging
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