02 - Aus Liebe zu meiner Tochter
rief sie und schnappte nach Luft. »Es ist mein Hase!« Sie strahlte mich an.
Mahtab umarmte den weißgrünen Stoffhasen, eine Nachbildung des geliebten Stofftiers, das sie im Iran hatte zurücklassen müssen. »Er ist so klein«, sagte sie, als sie den knapp einen Meter großen Hasen mit beiden Händen vor sich hielt. Sie dachte nicht daran, daß sie in der Zwischenzeit gewachsen war. Sie drückte und küßte ihn und wirbelte mit »Tobby Bunny« in den Armen im Kreis herum. Dann befestigte sie die Gummis, die der Hase an den Pfoten hatte, an ihren Füßen und tanzte mit ihm wie schon so oft zuvor.
Mahtab war schon lange nicht mehr so glücklich gewesen. Zusammen mit Tobby Bunny saß sie auf dem Sofa.
Dann plötzlich wich das Lächeln aus ihrem Gesicht. Ich merkte, daß sie an den Iran dachte. Sie sah todtraurig aus, und Tränen rannen ihr über die Wangen. Ich war mir sicher, daß Tobby Bunny Erinnerungen an den Vater wachgerufen hatte - an den Menschen, der ihr einst so viel Wärme und Sicherheit gegeben hatte.
Einige Leser von Nicht ohne meine Tochter hatten sich bei mir erkundigt, ob wir den im Iran zurückgelassenen Hasen hätten ersetzen können. Wir hatten tatsächlich alle Spielzeuggeschäfte abgesucht, aber keinen zweiten gefunden. Schließlich erklärte sich Mary, die Tochter von Mahtabs Klassenlehrerin, dazu bereit, einen neuen Hasen für uns anzufertigen, wenn wir ihr die Maße und ein Foto des alten besorgten. Später hängten wir den Hasen an den Knopf in Mahtabs weißem Kleiderschrank, an den wir schon den al-76
ten gehängt hatten. Trotz Mahtabs stark wechselnder Gefühle hat Tobby Bunny in ihrem Zimmer einen bevorzugten Platz.
Solange ich im Iran lebte, hatte ich nur ein Ziel: zusammen mit Mahtab so schnell wie möglich nach Hause zurückzukehren. Die nächtlichen Seufzer meiner Tochter ließen mich keinen Schlaf finden. Verzweifelt wartete ich auf jemanden, der uns raushelfen würde. Damals schwor ich einen heiligen Eid, niemanden je im Stich zu lassen, der meine Hilfe brauchte.
Zu meiner ständigen Sorge um Mahtab kam nach unserer Rückkehr in die Vereinigten Staaten bald eine andere hinzu: Meine Schlaflosigkeit geht nun nicht mehr auf Mahtabs Seufzer zurück, sondern auf die Schreie all jener Kinder, die immer noch unter den Depressionen zu leiden haben, die auch meine Tochter hatte erdulden müssen.
So wie mir andere halfen, einen Weg in die Freiheit zu finden, so will ich heute auch diesen Kindern helfen.
Im Oktober 1990 erwiderte ich einen Telefonanruf, der mich über die St. Martin's Press erreicht hatte. Aus der Frauenstimme am anderen Ende der Leitung klang Panik: »Ich weiß nicht, ob Sie sich an mich erinnern. Ich heiße Beverly und bin vor ungefähr drei Jahren mit Ihnen in Kontakt getreten, als Sie in Tucson waren. Damals erzählte ich Ihnen von meiner Angst, daß meine Tochter in den Iran entführt werden könnte. Er hat es getan! Sie ist weg!«
Beverlys Mann hatte Sabrina nach Teheran entführt und ihr sogar verboten, mit ihrer Mutter zu sprechen. Zuerst hatte Beverly ihrer Tochter in den Iran nachfolgen wollen, aber ihr Mann wollte nichts davon hören. Er wollte eine Scheidung, und er wußte genau, daß eine Verhandlung im Iran nach islamischem Recht einen günstigeren Verlauf für ihn nehmen würde als ein Prozeß vor einem amerikanischen 77
Gericht. Beverly erzählte mir weinend: »Ich darf den Iran ohne schriftliche Erlaubnis meines Mannes nicht einmal betreten.«
Beverly war über die Lage ihrer Tochter verzweifelt: »Sie kann sich nicht verständigen. Sie kennt diese Menschen nicht, und wie soll sie ihre Kultur ohne Hilfe verstehen? Sie hat ihren Teddybären nicht dabei, und ohne den kann sie nicht einschlafen. Mein armes Kind! Was kann ich tun, um ihr zu helfen ?«
Ich riet Beverly, den Kontakt zu Majid nicht abzubrechen. Sie müsse die Kommunikation aufrechterhalten, so schwierig es auch sein mochte.
Einige Monate später erhielt Beverly nach langem Bitten die Erlaubnis ihres Mannes, in den Iran zu kommen.
Sie ließ ihre Familie in Amerika in dem Bewußtsein zurück, daß sie ihre Angehörigen nie mehr Wiedersehen und daß Sabrina mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit den Iran nie mehr verlassen würde. Die beiden sind bis zum heutigen Tag nicht zurückgekehrt.
Das andere Extrem sind Eltern, die in ihrer Verzweiflung alles tun, um ihre Kinder zu behalten, und die versuchen, eine Entführung durch den anderen Elternteil zu verhindern, indem sie ihr
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