02 - Aus Liebe zu meiner Tochter
schlecht erhalten, ja baufällig.
Als zweitältestes von acht Kindern genoß Riaz im Dorf großen Respekt. Er war von den Khans immer der Ehrgeizigste und Abenteuerlustigste gewesen; er hatte die engen Grenzen Peshawars durchbrochen, um sich in der Welt umzusehen. Seine Mutter betete ihn an, und sein Vater, ein labiler, ausgezehrter Mann, der von Magengeschwüren geplagt wurde, beugte sich seinen Wünschen. Riaz
»war für sie wie ein König«, erklärte Christy. »Sogar sein älterer Bruder sah zu ihm auf. Da er schon überall gewesen war, glaubten die Leute, er wisse alles.« Und Riaz tat nichts, um sie von diesem Glauben abzubringen.
Christy verliebte sich in die Khans, in ihre Wärme und Gastfreundschaft, in ihre Bereitschaft, eine Ausländerin, die bald zur Familie gehören würde, bei sich aufzunehmen. Unter den Männern faszinierte sie vor allem Fiaz, der drittälteste Bruder. Er war so höflich, daß er zurückblieb, um sich mit Christy zu unterhalten, wenn die anderen loszogen, um zum Spaß ihre halbautomatischen Waffen und Maschinengewehre abzufeuern.
Die Familie tat ihr möglichstes, um Christy das Leben angenehm zu machen. Als Christy fragte, ob sie den in Pesha-war von allen Frauen getragenen Tschador vom Kopf nehmen könne, um die Hitze besser zu ertragen, unterstützten die Frauen sie in ihrer Bitte. Riaz rollte wegen ihres unorthodoxen Verhaltens zwar mit den Augen, fand sich aber damit ab. Und Christy warf sich den Tschador erleichtert wie einen mexikanischen Umhang über die Schultern.
Die Familie fühlte sich durch Christys Bereitschaft, mehr über ihre Traditionen und ihren Alltag zu erfahren, geschmeichelt. »Wir haben gehört, daß Amerikaner sich gegenüber Ausländern scheußlich aufführen«, vertraute ihr eine Cousine an.
»Aber in Amerika gibt es doch nur Ausländer, Menschen aus aller Welt. Im Grunde sind wir alle Ausländer«, entgeg-nete Christy, und alle stimmten ihr zu. Sie räumte auch die Vorurteile gegenüber amerikanischen Frauen aus, »daß wir vorlaut und aggressiv seien und unsere Manner schlecht be-handelten«. Als Riaz' Vater Christy dabei beobachtete, wie sie den Freunden seines Sohnes Tee servierte, lobte er mehrmals ihren »Gehorsam«.
So weit, so gut. Es gab allerdings auch Vorkommnisse, die Christy nachdenklich stimmten. Einmal kam eine jüngere Cousine zu Besuch und fragte: »Hast du keine Angst vor seinem Jähzorn?«
»Nein, was für ein Jähzorn?« erkundigte sich Christy.
»Ach, Riaz ist furchtbar jähzornig«, erklärte die Cousine, »und jeder hier hat Angst vor ihm.«
Verwirrt sprach Christy Riaz später darauf an: »So, so, du bist also jähzornig.«
»Überhaupt nicht«, versicherte Riaz, »diese Leute verstehen nur meine Art zu reden nicht.«
Ein paar Tage später fragte eine andere Cousine Christy ohne Umschweife, ob Riaz sie jemals geschlagen habe.
Christy war schockiert. »Nein, natürlich nicht! Wenn er mich schlüge, würde ich sofort abreisen!«
Rückblickend meinte sie: »Es beunruhigte mich zwar, daß sie so etwas fragten, aber Riaz war immer so wundervoll zu mir gewesen. Ich dachte, vielleicht verstehen sie ihn einfach nicht. Ich wußte, daß viele Menschen nicht mit ihren Familien zurechtkommen, aber trotzdem eine glückliche Ehe führen können.«
Riaz trieb die Heirat mit aller Macht voran. Er wollte in Pakistan den Bund fürs Leben schließen, je eher, desto besser. Christy zögerte. Sie hatte angenommen, sie würden noch eine Weile unverheiratet bleiben und sich dann in ihrer Heimatstadt kirchlich trauen lassen. Zu ihrer Beunruhigung hatte sie festgestellt, daß Riaz in Wirklichkeit Moslem war. Dabei störte sie weniger die Tatsache an sich als die Unwahrheit, die sie die ganze Zeit für bare Münze genommen hatte. »Dabei kam es mir nur darauf an, daß er überhaupt religiöse Grundsätze hatte«, sagte Christy.
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Um Christy zu überreden, versprach Riaz ihr eine zweite Hochzeit in den USA. Später hielt er sein Wort nicht und erklärte, der Islam verbiete ihm die Teilnahme an einem christlichen Gottesdienst. Schließlich ließ er die Bombe platzen: Die Behörden hatten ihm die Verlängerung seines Studentenvisums verweigert. Christy fand später heraus, daß Riaz zu viele Seminare versäumt und deshalb seinen Studienplatz an der Oral Roberts University verloren hatte. Er konnte nicht in die Vereinigten Staaten zurückkehren, es sei denn, er heiratete eine Amerikanerin. »Wenn du mich liebst und mich in Amerika sowieso heiraten
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