02 - Aus Liebe zu meiner Tochter
Wirtschaftsstudenten, mit denen Christy in Michigan ausgegangen war. Riaz erzählte ihr, er sei gelernter Advokat (die pakistanische Entsprechung zum Rechtsanwalt), habe Europa bereist und wolle in den Vereinigten Staaten in Rechtswissenschaft promovieren.
»Er schien ein rechtschaffener, wißbegieriger Mann zu sein«, erzählte Christy mir Jahre später.
Riaz besaß auch eher romantische Tugenden. Er war galant, geradezu ritterlich, hielt Christy immer die Tür auf, brachte zu jeder Verabredung Blumen mit und machte ihr ständig Komplimente, »wodurch ich mich ganz als Frau fühlte«.
Obwohl in einer ganz anderen Kultur aufgewachsen, zeigte Riaz sich als leidenschaftlicher Verehrer der USA.
Er sagte, er liebe die Menschen in Amerika; hier sei das Leben viel freier als in Pakistan, wo kurz nach seiner Abreise im Jahr 1982 das Kriegsrecht verhängt worden war. Riaz sprach wenig von seiner Heimat und wich Fragen nach sei-ner Familie aus. Seine Familie interessiere sich nicht beson-101
ders für das, was er tue, und er schreibe nur selten nach Hause.
Auch über seine Religion äußerte er sich nur vage. Obwohl in Pakistan 97 Prozent Moslems lebten, beteuerte Riaz, er sei ein überzeugter, wenn auch nichtpraktizierender Christ. An der Universität wolle er mehr über seinen Glauben erfahren.
Riaz rief Christy kurz nach ihrer Rückkehr nach Michi-gan an, und im Herbst besuchten sie sich gegenseitig an den Wochenenden. Im Dezember lernte Riaz Christys Eltern kennen. Er sprach bereits damals von Heirat -
leidenschaftlich und unnachgiebig. »Ich kann ohne dich nicht leben, ohne dich sterbe ich«, erklärte er. »Du bist das süßeste Geschöpf, dem ich je begegnet bin.« Rückblickend meinte Christy: »Ich war ungeheuer naiv - das perfekte Opfer.«
Im Januar 1986 teilte Riaz Christy mit, sein Studentenvisum sei abgelaufen. Er wollte ein Semester aussetzen, sich in Pakistan erneut bewerben und so bald wie möglich zurückkommen. Trotz des dumpfen Gefühls, übereilt zu handeln, nahm Christy schließlich seinen Heiratsantrag an, und sie vereinbarten, nach seiner Rückkehr im Herbst zu heiraten.
Christy konnte nicht so lange auf das Wiedersehen warten, sie vermißte ihn zu sehr. Aus einem romantischen Impuls heraus verließ sie die Universität ohne Abschluß, um ihrem Verlobten zu folgen. Es war das kühnste Abenteuer ihres Lebens, aber Christy hatte keinerlei Bedenken mehr. Schließlich war es die perfekte Kombination: ein exotisches Land und ein Mann, dem sie vertrauen konnte.
Peshawar liegt im Nordwesten Pakistans, rund 80 Kilometer von der afghanischen Grenze und dem Khyber-Paß entfernt, an dem alten Landweg von Indien nach Rußland. Obwohl die Berge der Gegend nur Ausläufer des Himalaya sind, hatte Christy so etwas wie sie noch nie gesehen. Entlang der schmalen, kurvenreichen Straßen gab es keine Leit-102
Planken; wer dort von der Fahrbahn abkam, stürzte unweigerlich in die Tiefe. Die gefährlichsten Strecken waren an den Felswänden durch aufgemalte Totenköpfe markiert.
Die Stadt selbst war weniger als anziehend. In den siebziger Jahren war Peshawar mit seinem berühmten Basar ein beliebter Touristenort gewesen, aber nach der russischen Invasion in Afghanistan 1979 strömten Zehntausende von afghanischen Flüchtlingen in die Stadt. Die Neuankömmlinge lebten in den ärmlichsten Baracken und beanspruchten die ohnehin begrenzten Ressourcen - vor allem Trinkwasser - und Abwasserleitungen über Gebühr. Das ehemals abgelegene Peshawar war inzwischen schmutzig, übervölkert, von Krankheiten verseucht und in einen braunen Dunst von Abgasen gehüllt. Die Paschtunen, die Stadt und Umgebung beherrschten, waren in ganz Pakistan für ihre kompromißlose Härte berüchtigt.
Riaz und Christy wohnten bei einer Tante in der Stadt, der Großteil der Familie lebte dagegen in einem Dorf in einem 24 Kilometer westlich gelegenen flachen, sumpfigen Gebiet. Genauer gesagt, der Familie gehörten das Dorf und die umliegenden Felder mit Zuckerrohr, Mangobäumen und Baumwolle. Die Dorfbewohner, Tausende von Menschen, die in einfachen Hütten lebten, arbeiteten auf den Feldern wie auf Plantagen; eine andere Beschäftigung gab es nicht.
Die Khans waren eine ungeheuer weitverzweigte Familie mit Riaz' Vater und Onkel als Oberhäuptern. Für pakistanische Begriffe waren sie enorm reich. Laut Riaz war der Obstgroßhandel der Familie schlecht organisiert und stand kurz vor der Pleite. Die Häuser der Familie waren zwar groß, aber
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